Gewerbeverein zu Adorf
Januar 1858 – 15. März 1936
Wie im Adorfer Stadtboten vom 12. April 2017
dargelegt, möchte sich der Adorfer Gewerbeverein in seiner Arbeit auch mit
seiner Geschichte und der seines Vorgängers beschäftigen und die Erkenntnisse
und Rechercheergebnisse an dieser Stelle veröffentlichen. Diese umfangreiche
Arbeit kann er nicht alleine schultern. Hierzu benötigen wir eine breite
Unterstützung aller Gewerbetreibenden und Bürger der Stadt Adorf.
Auf unsere Bitte zur Unterstützung hat es bereits
erste hoffnungsvolle Reaktionen gegeben. Wir wissen nun, dass unser
Vorgängerverein im Januar 1858 gegründet wurde und sich in einer Versammlung am
15. März 1936 auflöste. Das Versammlungsprotokoll wurde von folgenden Herren
unterschrieben.
Name |
Vorname |
Beruf |
Anschrift AB 1929 |
Gierschick |
Richard |
Tischlermeister |
Mittelstr. 6 |
Reinel |
Ernst |
Gastwirt |
Zur Alp |
Wolf |
Alfred |
Friseurgeschäftsinhaber |
Elsterstr. 20, |
Bayer |
Lorenz |
Handelsmann |
Markt 29 |
Puchta |
Robert |
Klempnermeister |
Graben 6 |
Heckel |
Hans |
Schlossermeister |
Markt 38 |
Rohland |
Ottomar |
Korbmacher |
Hauptstr. 5 |
Kolbe |
Alfred |
Gärtner |
Johannisstr. 4 |
Es ist davon auszugehen, dass es die damaligen Vorstandsmitglieder waren. Von einigen dieser Herren sind folgende Tatsachen aus ihrem Geschäftsleben bekannt. Ob wir bald mehr wissen?
13. Oktober 1910 9. Februar 1932
6. Januar 1922
29. März 1914
Wie oben erwähnt, hat alles um den Jahreswechsel 1857/ 1858 angefangen.
Am 2. Dezember 1857 wurde das erste Statut des Gewerbevereins diskutiert und
das Ergebnis zur Reinschrift gebracht. Klar und eindeutig ist der im § 1
formulierte Zweck des Vereins: Förderung
des gewerblichen und nebenbei geselligen Lebens. Mögen auch wir heute die Zeit
finden, diese beiden Dinge öfter unter einen Hut zu bekommen.
Eine unscheinbare Anzeige vom 12. März 1870 lässt
vermuten, dass zu diesem Zeitpunkt das Statut von 1857/58 bereits einem neuen
gewichen sein muss. Der hier aufgeführte § 20 von 1858 passt nicht so richtig
für einen Mitgliederausschluss. Die Änderung des Statutes kann mit der am 15.
Oktober 1861 im Königreich Sachsen erfolgten Verabschiedung und ab 1. Januar
1862 gültigen Gewerbegesetzes im Zusammenhang stehen.
Recherchen in den Beständen des Historischen Archives
des Vogtlandkreises bestätigten obige Annahme. Im Bestand Adorf/Vogtl. 1282/15
befindet sich eine nicht datierte gedruckte Ausgabe eines Statutes, welches
einen zu obiger Anzeige passenden §. 20 beinhaltet. Er lautet wie folgt:
„§. 20. Mitglieder, die sich in den
Versammlungen unanständig, oder sonst unwürdig verhalten, oder die Zwecke des
Vereins zu stören suchen, können durch Beschluß der Versammlung - jedoch nur bei einer Mehrzahl von 2/3-
ausgeschlossen werden.
In Cap. III.
„Pflichten der Mitglieder“ des gleichen Statuts finden wir unter § 28
folgenden Eintrag:
„Jedes Mitglied ist
verpflichtet, nach Kräften durch Worte und That für die Förderung der Vereinszwecke
Sorge zu tragen, die Geldbeiträge pünktlich abzuliefern und sofort nach seiner
Aufnahme entweder einen Baum – Obst oder Nutzholz – auf seinem eigenen oder den
dazu angewiesenen Commun-Grund und Boden zu pflanzen oder diesem Behufe 2 ½
Ngr. in die Baumpflanzungscasse zu entrichten.“
Über diese Pflicht neuer Vereinsmitglieder berichtete
Oberlehrer, Organist und Heimatforscher Bruno Günther in seinem Aufsatz „Auf
zünftigen Spuren in Alt-Adorf mit besonderer Berücksichtigung der Geschichte
des Gewerbevereins“ wie folgt:
„…So näherte man
sich der Schwelle des 19. Jahrhunderts, das eine neue Zeit herauf führte. Sie
kam aber weniger von den vergeblichen Versuchen, alte Bergwerke in Adorf wieder
in Betrieb zu nehmen, als von Männern, die sich um das Wohl der Stadt bemühten
und durch Tatkraft, die die Not geweckt hatte. Bürgermeister Pinder und Rektor
Becker ließen vom Freiberger Tor aus eine Baumallee die Straße entlang anlegen
und Obstbäume anpflanzen… Da kam ein
findiger Kopf auf den Gedanken, durch Anpflanzung von Bäumen, besonders
Obstbäumen, nicht nur das Stadtbild zu verschönern, sondern auch einen gewissen
Ertrag zu erzielen und so mußte jedes neu eintretende Mitglied des Gewerbevereins
einen Baum anpflanzen…“
Ob heute noch Bäume in Adorf stehen, die damals von
neu eingetretenen Mitgliedern gepflanzt wurden? Es müssten heute stattliche
Bäume mit einem Alter von über 100 Jahren sein.
Gerne würden wir an dieser Stelle Bilder solcher Bäume inklusive den
Namen derjenigen veröffentlichen, die diese gepflanzt haben. In der Satzung von
1903 taucht diese Pflicht der neuen Mitglieder nicht mehr auf. Warum, wissen
wir heute nicht mehr.
Obige Zeitungsanzeige verrät auch, dass zu diesem
Zeitpunkt Bürgermeister Hitzschold Vorstand bzw. Mitglied des Vorstandes des
Gewerbevereins war.
Bürgermeister Hitzschold wurde am 13. Juni 1817 in
Dresden geboren und starb am 26. April 1876 in Sebnitz. Das Amt des
Bürgermeisters von Adorf übte er von 1866 - 1872 aus. Laut seinem Foto kann
vermutet werden, dass er eine Respektsperson war. Wäre es auch heute möglich,
dass ein Bürgermeister Mitglied bzw. leitendes Mitglied des Gewerbevereins ist?
Im Jahre 1903 beschlossen die Mitglieder des
Gewerbevereins eine neue Satzung. Der Grund hierfür konnte noch nicht ermittelt
werden. Eventuell musste das Statut an neue rechtliche Anforderungen angepasst
werden.
Dem Laien fällt auf, dass statt in 24 §§ aus dem Jahre
1858 oder 30 §§ des nicht datierten Statutes aus der Zeit um 1862 nun alle
relevanten Fragen in 13 Punkten geregelt wurden. Viele Fragen wurden ähnlich wie
1858 geregelt. Auffallend ist, dass 1903 eine Satzung und nicht ein Statut alle
Fragen regelte. Ob es hier einen qualitativen Unterschied gibt? Das wissen
sicherlich nur die Juristen. Weitere Unterschiede finden wir im Zweck des
Vereins. 1858 und im Nachfolgestatut wurde neben der Förderung des gewerblichen
Lebens auch die Förderung des geselligen Lebens genannt. Dies fehlt in der
Satzung von 1903. Zur Wahrung einer gewissen Kontinuität in der Arbeit des
Vereins wurde der Vorstand nicht mehr jährlich komplett neu gewählt sondern die
Wahl der Vorstandsmitglieder erfolgte für zwei Jahre und jedes Jahr mussten sich 50% der
Vorstandsmitglieder neu zur Wahl stellen.
Der damalige Vorstand bestand aus:
Vorname/Name |
Funktion |
Beruf lt. Adressbuch 1904 |
Bernhard Hering |
I. Vors. |
nicht im Adressbuch |
Richard Gierschick |
II. Vors. |
Tischler |
Adolf Hoyer |
I. Schriftführer |
Werkführer |
Albin Geipel |
II. Schriftführer |
mehrere Personen möglich |
Heinrich Teichmann |
Schatzmeister |
mehrere Personen möglich |
Hermann Künzel |
Bücherwart |
mehrere Personen möglich |
Hermann Fischbach |
Beisitzer |
mehrere Personen möglich |
Ferdinand Georgi |
Beisitzer |
Lohnsticker |
Friedrich Galsterer |
Beisitzer |
Buchbindermeister |
Johann Stübiger |
Beisitzer |
Schneidermeister |
Eine weitere interessante Quelle für die Erforschung
der Geschichte des Gewerbevereins zu Adorf hat sich in den Jahresberichten der Handels- und Gewerbekammer
Plauen aufgetan. In diesen wird in kurzen Worten auf die Arbeit des Vereins im
jeweils vergangenen Jahr eingegangen. Bemerkenswert neben den Angaben zur
Mitgliederstärke sind die teilweise sehr umfangreichen und thematisch breit
gefächerten Vorträge. Dort lesen wir zum Beispiel folgendes:
Eine Vielzahl der jährlichen Kassenbücher des
Gewerbevereins Adorf sind erhalten geblieben und dokumentieren sowohl die
Einnahmen als auch die Ausgaben des Vereins bis zu seiner Auflösung. Aus diesen
lassen sich viele Details des Vereinslebens entnehmen. Aus ihnen ergeben sich
teilweise die Mitgliederzahlen und die Namen von neu aufgenommenen Mitgliedern.
Einzelne aufgeführte Positionen sind Mosaiksteine im Zusammenhang mit anderen
Inforationen bzw. interessante Anhaltspunkte für weitere Recherchen. Da die
Kassenbücher handschriftlich geführt wurden, ist deren Auswertung nicht ganz
einfach und sehr zeitaufwändig. Als
erste Jahrgänge wurden die Kassenbücher der Jahre 1898, 1904 und 1934
„übersetzt“. Sie finden diese auch auf unserer Homepage.
Für die
Vereins- und Vorstandversammlungen wurde natürlich ein geeigneter Ort benötigt.
In den ersten
Jahren nutzte der Verein hierfür die Vereinszimmer in verschiedenen Gasthäuser
bis er im Jahre 1908 das Restaurant zur Alp als ständiges Vereinslokal nutzte.
Es fällt uns
heute schwer, sich in die Geschäftswelt unserer Vorfahren in der Mitte des 19.
Jahrhunderts hineinzuversetzen. Es war eine ganz andere Zeit und wir haben sie
selber nicht miterlebt. Wer 20, 30 oder mehr Jahre sein Gewerbe ausführt, wird
sehr leicht feststellen, dass sich in dieser Zeit so manche Dinge auch im
geschäftlichen Leben verändert haben. Besonders wird dies bemerkt, wenn ein
Firmenjubiläum vorbereitet und mal wieder ein Blick in das Firmenarchiv
geworfen wird. In inhabergeführten Firmen prallen auch sonst einmal die
unterschiedlichen Philosophiehen der Generationen aufeinander wenn es um
kleinere oder größere Entscheidungen geht.
Einen
interessanten Einblick in die Philosophie der damaligen Geschäftswelt gewähren
die am 1. Juni 1860 in der Sächsischen
Industrei-Zeitung zu lesenden 13 Gebote für die Industrieellen.
I.
Kaufe für Dein Fabrikat gutes
Material.
II.
Fabriciere nur solide Ware.
III.
Arbeite nicht über Deine Kräfte.
IV.
Suche Dir nur zahlungsfähige
Kundschaft aus.
V.
Bezahle Deine Schulden aufs
Pünktlichste.
VI.
Halte auf Deinen Ruf.
VII.
Lasse Dich von Deiner Kundschaft
nicht treten.
VIII.
Meide langsame Bezahler und
Chicaneure.
IX.
Lasse Dir die Verkaufslust nicht zu
sehr anmerken.
X.
Halte in Deinen Geschäftsstunden die
strengste Ordnung.
XI.
Bekümmere Dich nur um Dein eignes
Geschäft.
XII.
Beachte die Fortschritte auf dem
Gebiet der Industrie.
XIII.
Behandle Deine Arbeiter als Deine
Mitmenschen.
Es wird jedem
klar sein, dass diese Gebote damals eine Richtschnur für jeden Industriellen,
und sicherlich auch Gewerbetreibenden, gewesen sein sollen und viele diese für
sich unterschiedlich anwendeten und interpretierten. Die Umsetzung bzw.
Anwendung dieser Gebote von vor 160 Jahren
ist in manchen Punkten mit der heutigen Realität in der Geschäftswelt
schwer zu vergleichen. Sie haben trotzdem für viele auch nach fast 160 Jahren
nichts an Aktualität verloren und sind im täglichen Geschäft Richtschnur bei
vielen Entscheidungen.
Wer waren diejenigen, die zur Jahreswende 1857/58 den
Gewerbeverein zu Adorf gründeten und bis zu seiner Auflösung am 15. März 1936
in ihm Mitglied waren?
Diese Frage lässt sich nicht einfach beantworten. In
den umfangreichen Unterlagen im Historischen Archiv des Vogtlandkreises (HAV)
zum Adorfer Gewerbeverein befinden sich nach einer ersten Durchsicht keine
regelmäßigen Mitgliederlisten. Wir finden dagegen in dem 34 Bände umfassenden Material
eine Vielzahl von handschriftlichen Dokumenten, in denen immer wieder einzelne
oder mehrere Namen von Mitgliedern in verschiedenen Zusammenhängen aufgeführt
werden. Dieses Material entsprechend aufzuarbeiten ist nicht nur eine immense
Fleißarbeit, sondern setzt auch voraus, dass man die alten handschriftlichen
Protokolle und Vermerke lesen kann. Allein die aus verschiedenen Quellen
zusammengestellte Übersicht über die Mitgliederzahlen zeigt eine rege Bewegung
bei den Ein- und Austritten in den Gewerbeverein. Bei einer näheren Betrachtung
der Mitgliederbewegung wird man schnell darauf stoßen, dass diese nicht nur
eine normale Entwicklung von Gewerbegründungen und Gewerbeeinstellungen
widerspiegelt. An ihr lässt sich auch die generelle Entwicklung von Handel und
Gewerbe in der Stadt Adorf und den Einfluss von großen politischen und
wirtschaftlichen/industriellen Entwicklungen nachweisen.
Wir erkennen einen Zusammenhang von Mitgliedern im
Verhältnis zur Entwicklung der Einwohner, der Entwicklung der großen
Industriebetriebe in Adorf, dem Aufschwung und Niedergang einzelner Industrie-
und Gewerbezweige und auch den Einfluss des 1. Weltkrieges.
Bei der Durchsicht der Unterlagen zum Gewerbeverein
Adorf ist mir bisher lediglich eine Mitgliederliste mit dem Stichtag 1. März 1919 in die Hände gefallen. Sie gibt
einen interessanten Überblick über die Mitglieder nach dem Ende des 1. Weltkrieges.
Das war eine Zeit, in der sich Deutschland in einer katastrophalen
wirtschaftlichen Situation befand und viele Unternehmen und Gewerbe um ihr
wirtschaftliches Überleben kämpften bzw. den Kampf bereits verloren hatten.
Einen Teil dieser dort aufgeführten Mitglieder ist
vielen Adorfer Bürgern heute noch vom Namen her bekannt, mit anderen Namen
können nur wenige etwas anfangen. Einige bekannte Namen aus der Adorfer
Geschäftswelt wird der eine oder andere auch vermissen. Das liegt daran, dass
es damals eine Vielzahl von Vereinen gab, die sich für die Interessen
verschiedener Gruppen einsetzten. Die Handwerker waren in Innungen organisiert,
die Gastwirte im Gastwirtsverein und Kaufleute in der Kaufmännischen
Vereinigung.
Vielleicht gelingt es uns auf Basis dieser
Mitgliederliste aus dem Jahre 1919 Schritt für Schritt weiter Geschichten über
ehemalige Adorfer Gewerbebetriebe zu recherchieren.
Klaus-Peter Hörr
Februar 2018