Jahresbericht über die Tätigkeit im Gewerbeverein in dem Jahre  1918

 

Zunächst heiße ich Sie, verehrte Mitglieder, im neuen Vereinsjahre herzlichst willkommen, und dies umsomehr, als nun endlich Waffenruhe eingetreten ist, dem hoffentlich bald der längst ersehnte endgültige Friedensschluß folgen möge. Ein großer Teil und vielleicht alle von unsern mit draußen oder in Heeresdienst gestandenen Mitglieder sind heimgekehrt und kann ich allen nur wünschen, daß sie alle wieder eine recht gesegnete Arbeit und Tätigkeit in ihren jeweiligen Berufen, Handwerk, Geschäft finden möchten.

Wenn ich an die vorige Jahreshauptversammlung  denke so sind dies eigentlich recht schmerzlich Erinnerungen, denn die für 19. April 1918 einberufen gewesene Versammlung war nur von 6 Mitgliedern besucht, sodaß eine zweite Einberufung für den 20. April 1918 nötig machte.

 

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*Entgegen des Berichtes wurde die erste Jahreshauptversammlung laut Anzeige für den 14. April 1918 einberufen.

 

Für mich sowohl als für die übrigen Vorstandsmitglieder war es wirklich kein Vergnügen, fortgesetzt stellvertretungsweise in 2 u. 3 Ämtern tätig sein zu müssen, es hat uns aber nicht an gutem und redlichem Willen gefehlt, alles daran zu setzen um die Tätigkeit im und außerhalb des Vereins wach und rege zu erhalten. In kurzen Umrissen will ich Ihnen deshalb meinen Bericht erstatten. Was die Mitgliederbewegung anbelangt haben wir gegenwärtig     112 Mitglieder.

                 Aufgenommen wurden die Herren

·       Gastwirt Paul Wölfel in Arnsgrün

·       Baumeister Lehmann

·       Schlosser Hans Heckel

Abgemeldet haben sich

·       Herr Kürschner Gläsel

Gestorben ist

·       Schmiedemeister Erhard Krauß, ein alter wackerer Handwerksmeister noch einer alten von Schrot und Korn, wer ihn gekannt wird ihn nicht so schnell vergessen. Ehren wir ihn in stillem Angedenken, indem wir uns von unseren Plätzen erheben. Den Angehörigen habe ich im Namen des Vereins eine Beileidskarte zugehen lassen.

 

Zwei hochwichtige und höchst interessante Besichtigungen konnten wir unter zahlreichen Anteilnehmern des Gewerbevereins vornehmen. Am Himmelfahrtstage in Plauen die Besichtigung des neuen Hauptfriedhofes mit der Einäscherungsstätte nebst allen dazugehörigen Anlagen und am 22./23. Sept. 1918 der Besuch der Deutschen – Faserstoff - Ausstellung in Leipzig, zu welchen Herr Kommerzienrat Claviez einen ansehnlichen Betrag -500 M-gestiftet hatte. Über beide Besichtigungen habe ich Ihnen ja in den Zeitungen eingehende Berichte erstattet.

Als eine große Ehre muß es unser Gewerbeverein ansehen, wenn er unter seinen Mitgliedern noch Herren hat, die auf eine 50 jährige treue Mitgliedschaft zurückblicken konnten. Am 28. November 1918 habe ich in Gemeinschaft mit dem Vorstandsmitglied Hr. Joram den beiden Jubilaren Herrn Eduard Hellinger und Robert Dietz hier für 50 jährige Mitgliedschaft die dafür ausgefertigten Ehrenurkunden überreicht.

 

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HAV Adorf 1282 Bd. 24

 

Weiter habe ich Anlass genommen, noch nachträglich dem Mitglied und Vorstandsmitglied des Verbandes Herrn Kretzschmar aus Anlaß seiner silbernen Hochzeit und 25 jährigen Vereins-Mitgliedsjubiläums ein Glückwunschschreiben im Mai 1918 zu übermitteln.

Aus den Versammlungsbeschlüssen hätte ich folgendes mitzuteilen.

Der Fachschule bewilligte man für das Jahr 1918 -20 M- Unterstützung; der langjährige Vereinsboten Landrock legte infolge anhaltender Krankheit sein Amt nieder; die Botenbesorgungen sind einstweilen durch den Sohn des Herrn Joram verrichtet worden.

Infolge der im November 1918 eingetretenen Unruhen hat man von der beschlossenen 60 jährigen Stiftungsfestfeier bis jetzt absehen müssen.

Endlich nahm der Gewerbeverein noch Anlaß sich in Verbindung mit dem demokratischen Verein dem Bürger und Stadtverein g. an den Stadtverordnetenwahlen sich zu beteiligen.

Wie wir uns zur Vertretung und der Wahrung  der Rechte des Handwerks stellen, dazu will ich Ihnen in kurzen Worten einen besonderen Bericht erstatten.

 

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( 1. Anlage )

 

Im vergangenen Vereinsjahre fanden statt:

·      Eine beschlußunfähige Hauptversammlung    14./4.

·        "                          fähige               "                        20./4.

·      Versammlung am  8./9.1918

·                  "                15./10.1918

·                  "                14./01.1919

Außerdem machten sich öfters mal Vorbesprechungen und Beratungen unter den Vorstandmitgliedern nötig. Aus den Protocollen, Acten und Cassabüchern werden Sie ersehen, daß es fortgesetzt nie an Arbeit gefehlt hat. So waren immerhin etwa 35 verschiedene Schreiben und Postsachen zu erledigen.

Zufolge Beschlusses vom 14. Januar 1919 habe ich noch an den Stadtrat eine Eingabe gerichtet, den Fortbildungsschulunterricht möglichst  auf eine arbeitsfreie Zeit verlegen zu wollen, da in Folge der 8 stündigen Arbeitszeit, die Lehrlinge sowohl in ihrer Ausbildung als die Lehrmeister in der Arbeit Nachteile haben. Um endlich mal eine fortgesetzte genaue Übersicht über unsere Mitgliederzahl, über Stand, Gewerbe usw. zu haben, habe ich Ihnen noch eine vollständig neue Mitgliederstammrolle, die Ihnen zu jederzeitigen Einsicht vorliegt. Ich wäre somit am Ende meines kurzen  Berichts  und schließe mit dem Wunsche, daß ein jeder von uns kräftig mit arbeiten möge an Erhaltung unsers Handwerks, unseres Kleingewerbes unseres Mittelstandes an Fortbestehens unseres nun schon länger als 60 Jahre bestehenden Gewerbevereins.

 

Adorf, am 2. Februar 1919

 

Bruno Petzold

z. Zt. stellv. Vorsteher und Schriftführer

 

 

Anlage z. Jahresbericht 1918.

 

Nachdem ich dem hiesigen Gewerbeverein schon länger als 16 Jahre angehöre und in der langen Kriegszeit das Vorstandsamt bis jetzt zu verwalten hatte, nehme ich gerne Anlaß im Interesse unserer Handwerker, Kleingewerbe- und Mittelstands, welcher Stand lediglich durch den Gewerbeverein vertreten wird, an Sie die dringende Bitte zu richten, alles zu tun, daß die gewählten Stadtverordneten auch alles daran setzen, daß unser Kleingewerbe, Mittel- und Handwerkerstand in jeder Hinsicht unterstützt wird. Wohl kein anderer Stand, als wie gerade der des Handwerkers, Kleingewerbes und Mittelstandes hat sich schon seit vielen Jahren und vor allen Dingen in der Kriegszeit in einer recht sorgenwollen und geradezu traurigen Lage befunden. Man könnte hier ruhig behaupten, recht und gesetzlos hat man gerade diesen Stand gelassen. Jeden Arbeiter, gleich welcher Nation er angehörte,  ihn bot das Gesetz schon in Friedenszeiten Hilfe und Unterstützung in Krankheits-, Unfall- und Invaliditätsfällen, ebenso eine Altersversorgung. Den Beamten, Lehrern und sonstigen Angestellten wurden wiederholt die ihnen zu gönnenden Gehalts- und Teuerungszulagen gegeben. Auch in Krankheits- und Altersfällen sind sie versorgt. Was man nicht so erreichte, das konnte man durch Streiks, durch Massenpetition usw. erreichen.

Für den Kleingewerbe-, Handwerker- und Mittelstand ist es unmöglich gemacht, irgendetwas zur Verbesserung seiner Lage zu erreichen und etwa Rücklagen und große Ersparnisse zu machen; das war bei der scharfen Conkurrenz mit Großindustrie und Großhandel ganz unmöglich. Auch an dieser Stelle muß wiederholt der traurigen Tatsache gedacht werden, daß der schreckliche Krieg die Verwüstung des städtischen Mittelstandes gewaltsam gefördert hat. Tag für Tag sind wertvolle Existenzen in den Staub gesunken. Tausende von kleinen Werkstätten verödet, in allen Straßen der Städte und Gemeinden standen und stehen noch kleine Verkaufsflächen leer, liegen noch die Nahrungsquellen des Handwerks, des Kleingewerbes verschüttet.

Wir haben eine verheerende Einbuße an einer Bevölkerungsklasse erlitten, die bescheiden und zufrieden die Hauptstütze der staatlichen Ordnung genannt werden mußte. Dies Zwischenglied, das die breite Schicht der abhängigen Arbeiterschaft wohltätig von dem Reichtum trennte, das daneben ungezählten Tüchtigen den Aufstieg aus dem Proletariat gestattet und in so hohen Maße staatserhaltend, staatsaufbauend wirkte diese wichtige Grundlage und Stütze des sozialen Ausgleiches ist im Kriege zerschmettert worden. In der volkswirtschaftlichen Literatur sind sich heute alle Schriftsteller, die von der Rechten wie von der Linken, darüber einig, daß die Kosten des Feldzugs lediglich der Mittelstand zu tragen hat, da der Krieg gegen ihn geführt worden ist! Unsere früheren Staatsmänner dagegen sind für diese tiefbetrübende Erscheinung blind gewesen. Dem versinkenden städtischen Mittelstande, der sich in weit schlimmerer Lage als der ländliche befindet und sich nicht wie er aus eigenen zu helfen vermag, ist keine Hilfe gebracht worden. Wir brauchen deshalb vollständig unparteiische und tatkräftige Männer, die auch in den Stadtvertretungen voll und ganz die Interessen des Mittelstandes, des Handwerkers und der Kleingewerbetreibenden in jeder Hinsicht vertreten.

Und ich bin überzeugt, wir haben auch hier noch Männer, die sich dieser Aufgabe recht gerne unterziehen werden.

 

B. Petzold

Adorf, 2.2.1919