Fa. Julius Bonn Neu-Freiberg/Leubetha

 

Wer von Oelsnitz/Vogtl. über die B 92 nach Adorf/Vogtl. fährt und unfallfrei das Kurvenlabyrinth in Rebersreuth durchfahren hat, genießt die lange Gerade in Richtung Adorf. So mancher Kraftfahrer nutzt diese, um angeblich bummelnde Fahrzeuge zu überholen. Dabei wird die StVO schnell zur Kannbestimmung. So kommt es vor, dass die Werkstatt vom Autoservice Schiller auf der rechten Seite übersehen wird. Das Gebäude ist einerseits nicht sehr auffällig und war andererseits schon immer dort. Immer bedeutet in diesem Falle seit 1906.

In diesem Jahr gründete Julius Bonn sein Fahrradgeschäft mit angeschlossener Werkstatt. Begonnen hatte alles in Rebersreuth. Im Bild unten sehen wir die ersten dort ausgestellten Fahrräder.

 

 

Rebersreuth 1906

 

Auf den Schildern sind die Preise von 100 bzw. 125 M zu erkennen. Bemerkenswert die beachtliche Übersetzung beim rechten Fahrrad. Ich erinnere mich noch gut, wie wir unsere ersten Radwanderungen im Vogtland mit Rädern ohne Gangschaltung absolvierten. So mancher Berg wurde zur Herausforderung. Nach der Fertigstellung des Hauses mit großem Schaufenster wurde an den jetzigen Standort direkt an der B92 umgezogen. Am ersten Verkaufspavillon im damaligen Neu-Freiberg und heutigem Adorfer Ortsteil Leubetha ist unschwer zu erkennen, womit hier gehandelt und was repariert wurde. Dieser historische Pavillon wurde restauriert und existiert noch heute.

 

 

An den von Julius Bonn geschalteten Anzeigen im Adorfer Grenzboten in den Jahren 1907 bis zum Beginn des 1. Weltkrieges sehen wir, dass er ein breites Sortiment an Fahrrädern führte.

 

 

Adorfer Grenzbote 31. März 1907

 

 

Adorfer Grenzbote 21. April 1907

 

 

Adorfer Grenzbote 19. März 1911

 

 

Adorfer Grenzbote 3. März 1912

 

Für die Damenwelt waren Fahrräder von Premier im Angebot. Oder war die Werbung der Excelsior-Fahrrad-Werke bei den Damen erfolgreicher? Damals trugen die Damen beim Fahrradfahren noch Hut und lange Kleider. Wie mag der Saum nach einer Radtour ausgesehen haben?    

 

 

Adorfer Grenzbote 5. April 1908

 

Es waren nicht nur Fahrräder, die Julius Bonn vertrieb. Die rasante Entwicklung der Kraftfahrzeuge in jener Zeit muss das Interesse des Schlossers und Kaufmannes Julius Bonn geweckt haben. Schritt für Schritt erweiterten Motorräder verschiedener Marken und auch Nähmaschinen das Sortiment. So wie sich das Sortiment erweiterte und Geld angespart war, wurde das Haus umgebaut bzw. erweitert. Eine Expansion auf Kredit war für viele aus der Generation unserer Eltern und Großeltern keine Option. Heute läuft ohne Kredit im privaten oder geschäftlichen Bereich so gut wie nichts mehr.
In den ersten Jahren der Motorisierung des Straßenverkehrs und der Einführung der KFZ-Kennzeichen wunde die Zulassung neuer Kraftfahrzeuge bzw. Veränderungen bei den KFZ-Kennzeichen in der Presse veröffentlicht. So geschehen am 15. Oktober 1908 im Dresdner Journal. Laut dieser Veröffentlichung wissen wir, dass Matthäus Julius Bonn, Fahrradhändler in Rebersreuth die Erkennungsnummer V 593 für ein Kraftrad erhielt. Am 20. Oktober 1909 war es die Erkennungsnummer V 763, die Julius Bonn für Proberäder bekam. Am 7. Januar 1914 wurde in der gleichen Zeitung informiert, dass der Motorradhändler Julius Bonn aus Freiberg b. Adorf i. V. die Erkennungsnummer V 2204 für ein Kraftrad erhielt. An den laufenden Nummern kann man eine ständig steigende Motorisierung des Fahrzeugverkehrs erkennen. In Sammlerkreisen wäre eine solche Original-Erkennungsnummer aus dieser Zeit mit Sicherheit ein begehrtes Objekt.

Es wurde ein großes Schaufenster eingebaut und Schritt für Schritt das Haus mit Werkstattgebäude erweitert. Ende der 1920er Jahre kam eine Tankstelle hinzu, die später überdacht wurde. Man wollte die Kunden beim Tanken nicht im Regen stehen lassen. Oder tankte der Tankwart damals noch selbst? Beliefert wurde die Tankstelle regelmäßig über das Lager Plauen der DEUTSCH-AMERIKANISCHEN-PETROLEUM-GESELLSCHAFT.

 

 

Im Jahre 1927 muss es bei Julius Bonn größere Bauarbeiten gegeben haben. Dies belegen diverse Rechnungen über Materiallieferungen und Handwerkerleistungen. Aus diesen geht hervor, dass er diverses Material und Leistungen auch vor Ort einkaufte und nicht nur in Plauen oder bei noch weiter entfernten Firmen. Das stärkte die regionale Wirtschaft und förderte die Beziehungen zwischen den Geschäftsleuten vor Ort. In der Regel waren und sind Lieferanten auch immer potentielle Kunden. Unter den Lieferantenrechnungen aus Adorf finden wir zum Beispiel Erdmann Schuster, Rudolf Nürnberger, Eduard Puchta & Sohn, Otto Geigenmüller, Richard Lehmann oder auch die Gebr. Herzog. Rudolf Nürnberger war der Einzige von ihnen, der seine Rechnung auf Goldmark ausstellte. Bei allen anderen lauteten die Rechnungen auf RM. War das ein Beleg dafür, dass das Handwerk goldenen Boden hat oder eher ein Hinweis auf die Goldenen Zwanziger Jahre?

 

 

Nachfolgend einige Fotos, die die Entwicklung der Firma anhand der baulichen Veränderungen an Haus und Werkstatt dokumentieren.

 

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ca. 1908

 

nach 1925

 

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ca. 1925

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ca. 1928

 

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ca. 1929

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ca. 1935

 

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ca. 1960

 

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März 2019

Mit Beginn des 1. Weltkrieges war es mit dem Handel mit Fahrzeugen so gut wie vorbei und man musste sich auf das Reparaturgeschäft konzentrieren. Als Mechaniker und Schlosser war man in der Lage, so gut wie alles zu reparieren. Es galt, das Unternehmen über die schwere Kriegszeit zu bringen. Und das war nicht einfach. Nicht nur neue Fahrzeuge und Maschinen waren kaum zu bekommen, auch die Ersatzteile waren knapp bzw. unterlagen den Bestimmungen der Kriegswirtschaft. Fahrradschläuche bzw. der dazu benötigte Gummi wurden für den Krieg benötigt. Da waren Ideen gefragt. Ob Julius Bonn auch die „Spirala“-Bereifung im Sortiment hatte? Interessant der Hinweis, dass diese Bereifung beschlagnahmefrei war. Ob diese Anzeige den einen oder anderen zu einem tollen Weihnachtsgeschenk in schweren Zeiten verholfen hat?

 

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13. Dezember 1916

 

Laut Meisterbrief vom 15. Februar 1923 legte der Maschinenschlosser Julius Bonn, geb. in Saint-Servais, (Namur) Belgien, in Plauen seine Meisterprüfung als Schlosser ab. Hierüber wurde am 20. April im Adorfer Grenzboten berichtet.

 

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Was wird einen in Belgien geborenen jungen Mann ins Vogtland gezogen bzw. verschlagen haben? Eine mögliche Erklärung könnte in der Person von Johann Bonn liegen, der 1898 als Inhaber der Papier – und Pappenfabrik J. G. Klinger Nachfolger in Leubetha genannt wird. Das zu verfolgen wäre eine andere Geschichte.

Auf den Fotos oben ist bereits ersichtlich, dass Julius Bonn ein großer Motorradfreund war und dieses Interesse auch an seine Kinder vererbte.

Hier eine Aufnahme mit Berthold Bonn mit einer Cyclonette. Diese würde heute so manchen Oldtimerfreund das Herz höherschlagen lassen.

 

 

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Otto und Berthold Bonn sowie Willy Muck auf einem D-Rad R04

 

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Silvia Bonn mit Freundin im Jahre 1929

 

Nach dem Ende des 1. Weltkrieges konnte der Handel mit Fahrrädern und Motorrädern aber auch mit Nähmaschinen und landwirtschaftlichen Maschinen wieder aufgenommen werden.

 

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Adorfer Grenzbote 26. Oktober 1924

 

Das angebotene Sortiment an landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten war laut nachfolgender Liste beeindruckend. Da blieb eigentlich kein Wunsch offen. Ich könnte mir vorstellen, dass das eine oder andere Gerät die Zeiten überdauert hat und nach wie vor einsatzbereit ist. Die Datierung dieser Liste ist leider nicht einfach. Ein Weg wäre die Telefonnummer 486. Bis 1929 taucht in den Anzeigen diese nicht auf. In diesem Jahr wird noch die Telefonnummer 186 genannt.

 

 

Im „Das große D-Rad-Buch“ von Mark Schaller lesen wir, dass Julius Bonn ab ca. 1922 die Generalvertretung für das D-Rad für das gesamte Vogtland erhalten hat.

 

 

 

Adorfer Grenzbote 24. März 1929

 

Daneben verkaufte er auch Fahrzeuge der Marken NSU, DKW, Wanderer oder Triumph.

 

 

Adorfer Grenzbote 27.März 1926

 

Julius Bonn verkaufte und reparierte nicht nur Fahrzeuge und Nähmaschinen, sondern sorgte mit seiner Fahrschule auch dafür, dass der Zustrom neuer Kunden nicht ausblieb. Hierfür erhielt er am 15. Juli 1925 von der Sächsischen Kreishauptmannschaft Zwickau die erforderliche Berechtigung. Diese war für die Ausbildung zum Führen von Kraftfahrzeugen mit Verbrennungsmaschinen der Klasse 1 ausgestellt. Aus welchem Grunde wird nachfolgende Auflistung der Berufe der Prüflinge entstanden sein? War das staatlich angewiesene Berichtswesen auch damals schon so umfangreich wie heute? Auf alle Fälle ist es heute ein interessanter Beleg über die Personen, die vor ca. 90 Jahren eine Führerscheinprüfung ablegten. Es ist anzunehmen, dass die Bleistiftstriche weitere Prüflinge nach Erstellung der Liste waren. Auffallend ist auf der einen Seite, dass es kaum eine Berufsgruppe gab, die nicht vertreten war. Absolute Spitzenreiter waren damals die Musikinstrumentenmacher, Kaufleute und Schlosser. Brauchten besonders diese Berufsgruppen die Fahrerlaubnis für ihren Beruf oder haben diese so gut verdient, dass sie sich ein KFZ privat leisten konnten? Interessant, dass er auch 3 Damen aufführte. Hatten diese Damen keinen Beruf? Welche drei Damen werden es gewesen sein, die in den „goldenen 20er Jahren bei Julius Bonn die Fahrprüfung abgelegt haben? Belegt ist, dass Wilh. Ullmann innerhalb einer Woche bei Julius Bonn die Fahrerlaubnisausbildung Klasse 1 auf verschiedenen Motorrädern absolviert hat. Dabei fuhr er insgesamt ca. 210 km mit einer Fahrzeit von ca. 6 h. Mit durchschnittlich 35 km/h war man damals noch recht gemütlich unterwegs.

 

    

 

Diese Aufstellung über die Berufe der Prüflinge liefert uns, wie andere Dokumente auch, eine Erklärung dafür, warum es damals nicht so viele überquellende Papiermülltonnen gab wie heute. Jedes Stück Papier wurde so lange benutzt, bis es keinen Platz mehr gab für notwendige Notizen. Warum sollte ein alter Wechsel in den Papierkorb wandern, wenn er eine umbeschriebene Rückseite hatte? Es war damals auch die Zeit, wo die Verwendung von Verlängerungen für kurze Bleistifte in den Kontoren gang und gäbe war. Fragen Sie heute einmal im Fachgeschäft nach einer solchen Verlängerung. Der eine oder andere Verkäufer wird Sie ungläubig anschauen und Ihnen einen neuen Stift anbieten. Denjenigen, der weiterhin Interesse an einer solchen Verlängerung haben sei gesagt, dass es sie auch heute noch gibt.

 

Obwohl der Verkehr damals mit dem heutigen nicht zu vergleichen war, war er zu dieser Zeit durchaus auch mit Gefahren verbunden. Dies bekam Julius Bonn am eigenen Leibe zu spüren. Im Adorfer Grenzboten von 20. August 1927 können wir hierzu folgendes lesen:

 

„Zum Unfall des Herrn J. Bonn. Wie wir berichtet haben, ist am 16. Juni Herr Julius Bonn vom Auto des Herrn A. Renner aus Bad Brambach angefahren und überfahren worden, wodurch Herr Bonn einen dreifachen Knochenbruch am linken Unterschenkel davongetragen hat. Unsere damalige Berichterstattung entsprach, wie wir hinterher von Herrn Bonn erfuhren, nicht in allen den Tatsachen, sodaß sich verschiedene Richtigstellungen nötig machen. Herr Bonn stand an der rechten Straßenseite des Hausberges und zwar ganz scharf rechts in der Baumreihe in Unterhaltung mit einem Herrn; das Motorrad war beleuchtet. Das Rennersche Auto kam mit abgeblendetem Licht von unten in scharfem Tempo heran, erfaßte mit dem rechten Kotflügel Herrn Bonn am Gesäß, sodaß er vornüber stürzte, wob­ei das linke Bein überfahren wurde. Außer einer stark blutenden Wunde am Kopfe hat Herr Bonn mehrere Blutergüsse erlitten. Durch verschiedene Straßenpassanten wurde Renner zum Anhalten veranlaßt, und von einem Herrn ersucht, einen Arzt herbeizuschaffen, welchem Wunsche Herr Renner nachkam. Inzwischen war aber ein Auto aus Richtung Oelsnitz herangekommen, in dem zwei Aerzte saßen, die sich sofort um Bonn bemühten und das weitere veranlaßten. Zu bemerken ist noch, daß im Augenblick des Unfalls die ganze Straße für das Rennersche Auto frei war. (Diejenigen Zeitungen, welche fr. Zt. unseren Bericht ganz oder teilweise übernommen haben, werden gebeten, die vorliegende Richtigstellung gleichfalls zu veröffentlichen).

 

Das Interesse von Julius Bonn an den Kraftfahrzeugen begrenzte sich nicht nur auf die Motorräder. Gerne hätte er auch als Vertreter für Opel-PKW gearbeitet. Dies belegt nachfolgende Anzeige vom 7. November 1925 im Adorfer Grenzboten.

 

 

Zu einer erfolgreichen und langfristigen Zusammenarbeit ist es nicht gekommen. Die Deutschen Industriewerke, von denen Julius Bonn die D-Rad-Generalvertretung für das Vogtland hatte, waren damit nicht einverstanden. Sie planten in dieser Zeit die Fertigung eines eigenen Automobils.

 

Bei Julius Bonn wurden nicht nur Fahrzeuge und Maschinen verkauft und repariert, sondern auch Lehrlinge ausgebildet. Laut Lehrvertrag vom 5. Mai 1931 mit dem Lehrling Gerhard Lenk aus Rebersreuth wurde dieser als Schlosser ausgebildet. Die Lehrzeit betrug 4 Jahre und ein Lehrgeld wurde nicht gezahlt. Interessant die nachfolgende besondere Vereinbarung im Lehrvertrag: „Geschäftsschädigende, private, ins Fach schlagendes Arbeiten ohne Einwilligung des Lehrherren sind dem Lehrling untersagt.“ Was wird damit gemeint gewesen sein? Dass er keine Reparaturen für den privaten Familien- oder Freundeskreis ohne Zustimmung durchführen durfte?

 

Auf dem Foto unten ein junges Werkstattteam. So mancher Handwerker träumt heute von einem solchen Altersdurchschnitt. Damals trug der Altgesell auch in der Werkstatt einen weißen Kragen mit Krawatte.

 

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v. l. Willy Muck, Kurt Kießling, Berthold Bonn, Otto Bonn, Altgesell Albert Bahmann

 

 

ca. 1935

 

Auch damals konnte man als Unternehmer nicht ruhig auf eventuelle Kunden warten und musste Marketing betreiben. Wir können dies auch als angenehmen Service betrachten, wenn der Kunde von seiner Werkstatt darauf hingewiesen wird, dass es langsam Winter wird bzw. er vor dem Pfingstausflug nochmals den Esso-Kundendienst in Anspruch nehmen sollte.

 

 

 

 

 

 

Um mit seiner Werkstatt gleich einen Termin vereinbaren zu können, legte Julius Bonn seinen Informationen eine adressierte Antwortpostkarte bei. Am Vermerk, dass 3 Pf. für das Porto genügen, sehen wir, dass dieses Objekt der Postgeschichte schon etwas älter sein muss.

Auch heute schätzen viele Kunden einen solchen Service. Ich könnte mir vorstellen, dass heute so mancher Kraftfahrer ohne Information durch seine Werkstatt den TÜV-Termin oder die fällige Durchsicht im Garantiezeitraum verpassen würde.

 

 

 

Ich gehöre noch zu der Generation, die in den Schaufenstern lesen konnte, dass die dort dekorierte Ware erst nach Dekorationswechsel verkauft werden kann. Was war das manchmal für eine Diskussion mit dem Verkaufspersonal. Glück hatte man eventuell, wenn das Personal lange Arme hatte und die begehrte Ware bei seiner Entnahme nicht das Gesamtbild des dekorierten Schaufensters störte. Auch Julius Bonn kannte das Problem. Da er seine Kunden im Zweifelsfalle nicht bis zu einem Dekorationswechsel warten lassen wollte, fand er für so manche Fälle eine Lösung und reichte seinen „Fahrbaren Ausstellungsständer“ am 13. Juni 1936 zum Patent ein. Dieses Patent wurde am 10. Juli 1936 auch eingetragen. Der Ausstellungsständer war nicht nur fahrbar, sondern auch vielfach teleskopartig verstellbar und nicht nur für Fahrräder geeignet. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass die Konstruktion des Ständerfußes so gewählt wurde, dass  dieser staubfrei bleibt. Sicherlich hat er hier ein Rundmaterial gewählt, auf dem der Staub nicht so schnell liegen bliebt. Das war und ist für eine Schaufensterdekoration natürlich von Vorteil.

 

 

Ob dieser Ausstellungsständer nach der Patentanmeldung den Weg in eine Klein- oder Großserienfertigung gefunden hat?

 

Mit Beginn des 2. Weltkrieges musste man sich bei Julius Bonn wieder auf das Reparaturgeschäft konzentrieren. Da war oft handwerkliches Geschick und Einfallsreichtum gefragt, um trotz fehlender Ersatzteile die Fahrzeuge und Maschinen wieder in Gang zu bekommen. Diese Situation änderte sich auch nach dem Ende des Krieges nicht. Da galt es, sich unter wieder anderen gesellschaftlichen Verhältnissen als privater Handwerksbetrieb zu behaupten. Der Verkauf von Fahrzeugen oblag in den ersten Jahren der DDR den staatlichen Unternehmen.

Ende der 1940er Jahre übergab Julius Bonn das Geschäft in die Hände seines Sohnes Otto. 1957 konnte er einen Servicevertrag für den „Trabant“ abschließen. Für die wenigen über den Krieg geretteten Vorkriegsmotorräder war er weiterhin eine gute Adresse. Im oben bereits erwähnten „Großen D-Rad Buch“ lesen wir, dass in den 1960er Jahren die Tankstellenausrüstung von staatlicher Seite konfisziert wurde und diese als Baustellentankstelle beim Bau der Talsperre Pöhl zum Einsatz kam.

 

Im Dezember 1973 gründete Otto Bonn zusammen mit anderen die PGH KFZ-Instandsetzung Oelsnitz (Produktionsgenossenschaft des Handwerks). Seine KFZ - Werkstatt in Leubetha an der B92 war der Betriebsteil 2.

In Summe hatte die PGH in Spitzenzeiten ca. 60 Mitarbeiter, davon bei Otto Bonn ca. 10.

Noch vor dem offiziellen Ende der DDR wurde die PGH im Jahre 1989 Vertragshändler/ Vertragswerkstatt für Volvo-PKW. Zum 31.12.1990 wurde die PGH aufgelöst. Für alle Mitglieder und Beschäftigte wie für fast alle ehemaligen DDR-Bürger galt es einen/seinen neuen Platz im einheitlichen Deutschland zu finden.

Im Jahre 1990 übernahm Dieter Schiller, ein Enkel von Julius Bonn, die Geschicke des Traditionsbetriebes. So mancher Vogtländer kaufte hier sein erstes „Westauto“ bzw. überhaupt sein erstes Auto.

Nach dem Tod von Dieter Schiller übernahm René Muck den Traditionsbetrieb und betreibt ihn heute als freie Werkstatt weiter.

 

 

Vielen Dank an Frau Schiller für die vielen Informationen und die Bereitstellung der umfangreichen Dokumente aus dem Familienarchiv.

 

Klaus-Peter Hörr

Mai 2019

Aktualisiert März 2020