Perlmutterwaren der feineren Art

Im Adressbuch der sächsisch-thüringischen Industrie aus dem Jahre 1911 ist unter der Warengruppe „Perlmutterwaren“ neben Firmen aus Adorf/Vogtl. auch die Fa. Gebr. Weickert aus Dresden aufgeführt. Um herauszufinden, ob diese Firma selbst Perlmutterwaren produzierte oder ein reines Handelsunternehmen war, begab ich mich auf entsprechende Spurensuche. Das Ergebnis finden Sie im nachfolgenden Text.

 

Im Katalog des Export-Vereins für das Königreich Sachsen aus dem Jahre 1887 wird die Fa. Gebrüder Weickert wie folgt beschrieben:

 

Gebrüder Weickert, Dresden:

„Atelier für Perlmutter-Kunst Schnitzerei in Schmuck und Luxuswaaren.

Fertigen nach Photographie und Zeichnung Köpfe, ganze Figuren, Landschaften, Ornamente und Monogramme auf Perlmutter oder Muscheln. Lager aller verschiedenen Arten Luxus-Muscheln, sowie Rosalin-Muscheln für Gartenverzierung.“

 

Diese Leistungsbeschreibung der Firma lässt den Schluss zu, dass sich ihre Sortimente zumindest in großen Teilen von denen der Perlmutterwarenindustrie in Adorf unterscheiden. Aus Adorf kennen wir die vielfältigen mit Perlmutter belegten Alltagsgegenstände in verschiedenen Preisklassen bzw. die Souvenirs im eher preiswerten Segment als Massenware für Touristen.

 

Interessant, dass im o.g. Katalog des Export-Vereins keine Perlmutterwarenfirma aus Adorf vertreten ist. Zumindest die Fa. Louis Nicolai aus Adorf war zu jener Zeit bereits auf den internationalen Märkten aktiv.

 

Ein Beispiel für die Arbeiten der Gebr. Weickert befindet sich mit dem „Porträtmedaillons von König Albert und Königin Carola von Sachsen in Ständerrahmen“ im Bestand des Kunstgewerbemuseums Dresden. Als Künstler ist Friedrich Weickert angegeben. Mit einer Abmessung von 14,4 cm x 12,4 cm (HxB) hat dieses filigrane Meisterwerk eine beachtliche Größe.

 

Der Versuch, die Genehmigung für die Verwendung des offiziellen Fotos des Kunstgewerbemuseums in Dresden für diesen Text zu erhalten, war leider nicht erfolgreich. Interessenten können nachfolgenden Link auf die entsprechende Homepage nutzen.

https://skd-online-collection.skd.museum/Details/Index/714763

 

Im „Wöchentlichen Anzeiger für das Fürstenthum Ratzeburg“ (Schönberger Anzeiger) vom 29. April 1887 finden wir nachfolgende Beschreibung für ein weiteres Meisterwerk der Gebr. Weickert.

 

„Ein einzig dastehendes Stück der Kunstdrechslerei hat Kaiser Wilhelm zu seinem Geburtstage noch nachträglich erhalten. Dasselbe besteht in einem aus Perlmutter gefertigten Pokal, welcher das Staunen aller Fachleute hervorruft. Die beiden Verfertiger haben dazu 19 ausgesuchte Perlmuscheln von ganz gleicher Farbe gebraucht. Aus diesen haben sie zierliche Dauben geschnitten und dieselben so zum Pokal ohne jedes Bindemittel gefugt, daß das Innere einer einzigen Perle gleicht. Fuß, Knäufe, Deckel, Alles ist aus Perlmutter, mit zierlicher Schnitzerei: Kornblumen, Kaiserkronen etc. bedeckt. Die Verfertiger sind zwei Gebrüder Weickert, in Dresden ansässig und Inhaber einer bedeutenden Kunstdrechslerei in Perlmuttersachen, welche die berühmten französischen Arbeiten übertreffen. Die beiden Brüder stammen aus einem schlesischen Dorfe, haben sich aber durch ihr Genie emporgearbeitet. Das Zivilkabinet hatte das Geschenk zurückgewiesen, da die Verfertiger in Dresden wohnen. Nachdem aber der Berliner Obermeister mündlich dargelegt, daß sie Preußen seien, ist das Geschenk dem Kaiser überreicht worden.“

 

Diese Meldung erregte auch internationales Aufsehen und erschien gleichlautend am 17. Mai 1887 in der „Luxemburger Gazette“ und im „Der Deutsche correspondent“ in den USA.

Die Recherchen zum Verbleib des Geburtstagsgeschenks an den Kaiser waren bisher erfolglos.

 

Mit Arbeiten nur für die gekrönten Häupter konnte die Firma nicht existieren. So warb sie 1897 für unzerbrechliche Perlmutter-Cigarrenspitzen für 1,50 M. Zu kaufen gab es sie im Laden in der Ferdinandstraße in Dresden.

 

 

 

Nach Rücksprache mit dem Perlmutter- und Heimatmuseum in Adorf sind Zigarren- und Zigarettenspitzen aus Perlmutter als Erzeugnisse von Firmen aus Adorf nicht bekannt. Bisher waren mir Zigarrenspitzen gänzlich unbekannt. Aus Filmen kenne ich rauchende Damen aus der sogenannten besseren Gesellschaft, die elegant eine Zigarette in einer sehr langen Zigarettenspitze hielten und auch rauchten und nebenbei oft viel und schnell redeten oder in bezaubernder Pose versuchten, Männer zu beeindrucken. Das gelang ihnen oft.

 

Laut Handelsregister Dresden Blatt 5229 wurde die am 1. Juli 1886 gegründete Firma Gebrüder Weickert am 21. September 1886 in das dortige Handelsregister eingetragen. Als Eigentümer werden Gustav Adolph (*ca.10.1857 in Hermannswaldau/Schönau-Schlesien, † 02.04.1892 Dresden) und Friedrich Wilhelm Weickert (*03.04.1859 in Hermannswaldau/Schönau-Schlesien, † 12.06.1915 Dresden) genannt. Am 23.11.1900 wurde die Gesellschaft aufgelöst und das Handelsgeschäft unter gleicher Firmierung durch Friedrich Wilhelm Weickert  fortgeführt. 1902 wurde die Handelsniederlassung nach Blasewitz verlegt. Ende 1903 erfolgte eine Rückverlegung nach Dresden. Am 27. November 1916 ist die Firma Gebr. Weickert erloschen.

 

Ich schließe nicht aus, dass die Gebrüder Weickert mit ihrem Geschenk an Kaiser Wilhelm und dem „Porträtmedaillons von König Albert und Königin Carola von Sachsen in Ständerrahmen“ die Leistungsfähigkeit ihrer neu ins Handelsregister eingetragenen Firma in Dresden unter Beweis stellen wollten. Heute würde man sagen, dass dies eine Form des Marketings gewesen ist.

Im Jahre 1901 erhielt das Unternehmen im Rahmen der Dresdener Pferdeausstellung eine Silberne Medaille für ihre Perlmuttersportsachen. Auch damals war der Pferdesport eine kostspielige Angelegenheit. Eventuell boten die Gebrüder Weickert bei dieser Ausstellung die entsprechenden hochwertigen Siegerpokale bzw. Preise an.

Wie die Gebrüder Weickert zu diesem Gewerbe gekommen sind, ist nicht bekannt. Als Söhne eines Schneidermeisters war ihnen die Arbeit mir Stoffen sicherlich nicht unbekannt. Der Unterschied in der Bearbeitung von Stoffen und Perlmutter dürfte dagegen erheblich sein.

 

Die Firmengeschichte lässt sich auch anhand der Eintragungen in den Adressbüchern der Stadt Dresden verfolgen.

Erstmals werden die beiden Brüder im Adressbuch des Jahres 1887 in der Hauptstraße 19 als Graveur und Drechsler und Mitinhaber der Fa. Gebr. Weickert aufgeführt. Das lässt vermuten, dass sie im Jahre 1886 aus Preußisch-Schlesien nach Dresden kamen und dort ihre Firma gründeten und ab 1887 im Adressbuch aufgenommen wurden. Der Firmensitz und die Wohnanschriften wechseln mehrfach.

Um 1900 annoncierten die Gebr. Weickert  mehrfach nach Lehrlingen. Ob der fehlende Nachwuchs der Grund dafür war, nach dem Tod von Gustav Adolph Weickert nur noch ein Handelsgeschäft zu betreiben? Mit dem Tod von Friedrich Wilhelm Weickert endete die Unternehmensgeschichte. Die Zeit des I. Weltkrieges war für eine Fortführung des Geschäftes durch Erben bzw. für eine Firmenübernahme durch Dritte ungünstig.

 

Anlässlich einer Gesprächsrunde zum Projekt „Digitales Museum in der Stadt Adorf/Vogtl.“ zeigte Frau S. Michael im September 2023, dass in Adorf neben der preiswerten Massenware für Bäderartikel auch die Fähigkeiten für feinere Arbeiten vorhanden waren. Sie präsentierte den Anwesenden nachfolgendes Medaillon von ihrer Großmutter Elise Rauh. Sie ist die Schwester des Perlmutterfabrikanten Max Rauh. Das Medaillon hat die Größe von 6,9 x 5,3 cm. Aus welchen Anlass sie das Medaillon erhalten hat, ist nicht bekannt. Es wird davon ausgegangen, dass es um 1930 gefertigt wurde.

 



In welchem Umfange auch solche Sortimente in größeren Mengen gefertigt wurden, ist bisher nicht bekannt. Die Größe dieser Arbeit lässt vermuten, dass diese nicht aus einer Elsterperlmuschel sondern aus Importware gefertigt wurde. Ob noch weitere solche Kostbarkeiten Adorfer Handwerkskunst in den Schmuckkästchen ihrer Einwohner schlummern?

 

Klaus-Peter Hörr

Juli 2021/Dezember 2023