Sag mir wo die Perlen sind, wo sind sie geblieben?

 

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts drangen vermehrt Berichte über die reichen Flussperlmuschelbestände in der Weißen Elster und ihrer Nebenflüsse im Vogtland inklusive ihrer Flussperlen an den Hof des sächsischen Churfürsten in Dresden. Nach Prüfung dieser Meldungen erhob der Churfürst die Perlenfischerei zum Churfürstlichen Regal. Damit wurden die Flussperlen unter strengen Schutz gestellt und am 8. Juli 1621 Moritz Schmirler zum Churfürstlichen Perlenfischer ernannt sowie die Perlenernte reglementiert. Die geernteten Flussperlen standen nun einzig und allein der sächsischen Krone zu und mussten in Dresden abgeliefert werden. Damit wurde gleichzeitig begonnen, die jährlichen Erträge genau zu erfassen. Die Flussperlen wurden unterschieden in helle, halbhelle, Sand- und verlorene Perlen sowie in Perlen, die in die Muschelschalen eingewachsen waren. Die hellen Perlen waren bei entsprechender Qualität den Perlen aus den fernen Meeren in Schönheit und Wert ebenbürtig.  In der Regel wurden die Perlen durch den sächsischen Hof verkauft. Nur in wenigen Jahren deckten die Erlöse hierfür die Kosten. In den Jahren 1719-1879 wurden insgesamt 22.732 Perlen geerntet. In den Jahren 1880-1922 waren es zusammen 2.333 Stück. Bei welchen Schmuckstücken die vogtländischen Perlen zum Einsatz kamen und welche Damen sich mit ihnen schmückten, konnte ich bisher in der Literatur nicht ermitteln. Einzige Ausnahme ist die im Grünen Gewölbe der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden befindliche Kette aus den über längere Zeit gesammelten 177 Prachtexemplaren aus dem Vogtland.

 

 

Ein weiteres Beispiel dafür, wo Süßwasserperlen in größeren Mengen zum Einsatz kamen, ist die hallesche Perlhaube aus der Sammlung des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale). Diese Perlhaube wurde im Jahre 1901 bei Bauarbeiten im Zentrum von Halle gefunden. Die Finder zerstörten das Schmuckstück um den Fund untereinander aufzuteilen. Es ist Julius Lessing, dem damaligen Direktor des Berliner Kunstgewerbemuseums, und dem Berliner Juwelier Hugo Schaper zu verdanken, dass die Haube im Jahre 1904 wieder zusammengesetzt wurde. Nach Ablauf der Verjährungszeit für diesen Diebstahl tauchten im Jahre 1913 weitere 52 kleine Zierschmuckstücke und ca. 100 Perlen auf. Es wird davon ausgegangen, dass diese Haube Ende des 16. Jahrhunderts in Halle gefertigt wurde. Ihre Bestandteile stammen aus verschiedenen Teilen Europas. Die Haube könnte vor der Eroberung der Stadt Halle durch Wallenstein im Jahre 1629 versteckt worden sein. Die Besitzer hatten später keine Gelegenheit mehr, ihren Schatz wieder zu bergen. Es ist weder der Meister, der dieses Kunstwerk schuf, noch die Braut bekannt, die diesen Schmuck bei ihrer Hochzeit trug bzw. tragen sollte. Gleichfalls offen ist die Frage nach der Herkunft der verwendeten Süßwasserperlen. Schaut man sich die Perlen genauer an, wird man feststellen, dass diese in Farbe, Form und Größe sehr unterschiedlich sind. Im Vogtland wurden bis Mitte des 19. Jahrhunderts im Durchschnitt ca. 150 - 200 Perlen pro Jahr geerntet. Somit hätte für die Perlhaube von Halle eine komplette Jahresernte aus dem Vogtland nicht ausgereicht. Für andere Gebiete liegt mir kein entsprechendes Zahlenmaterial vor. Entweder wurden für diese Haube Flussperlen aus verschiedenen Gebieten verwendet oder diese Perlen über einen längeren Zeitraum gesammelt. Da die Perlenfischerei im Vogtland erst ab dem Jahre 1621 durch Perlenfischer Schmirler (Schmerler) erfolgte, müssten vogtländische Perlen über andere Wege in den Handel gelangt sein. Ob die von J. G. Jahn 1854 beschriebenen Wahlen aus Venedig diese Süßwasserperlen im Vogtland ernteten und an die Juweliere verkauften?

Es wäre schön, wenn die Bundesländer Sachsen-Anhalt und Sachen gemeinsam klären könnten, woher die in der halleschen Perlhaube verwendeten Flussperlen stammen. Weitere Bundesländer wie Bayern oder Niedersachsen könnten auch potentielle Herkunftsgebieter dieser Flussperlen sein.

Das beigefügte Foto stammt aus dem Kunstgewerbeblatt Heft 4 Januar 1911. Interessenten können sich diese Perlhaube in einer aktuellen professionellen Präsentation unter dem Link https://www.kunstmuseum-moritzburg.de/kunst-erleben/digital-entdecken/museumsblog/15-november-2020/ ansehen.

 

Vielen Dank an Herrn Dräger vom Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) für die ergänzenden Informationen zur beschriebenen Perlhaube und weiterer mit Süßwasserperlen bestückter Schmuckstücke aus dem 16. Jahrhundert.

 

Klaus-Peter Hörr