Die vogtländische Perlmutterwarenindustrie

Wie alles vor 170 Jahren begann

 

Zum 75jährigen Jubiläum der Perlmutterwarenindustrie in Adorf verfasste Oberstudienrat Professor Emil Kaiser aus Plauen im Jahre 1925 nachfolgenden Artikel für die Dresdener neuesten Nachrichten.

In den 1920er Jahren hatte dieser Industriezweig  durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges und die damit verbundene Unterbrechung der Rohstoffeinfuhren aus Übersee sowie des fast vollständigen Zusammenbruchs des Exportgeschäfts seinen Höhepunkt bereits überschritten. Nach Kriegsende erholte sich die Nachfrage nur sehr schleppend. Veränderungen in der Mode und des Geschmacks führten zu weiteren Umsatzeinbußen. 1950, im Jahr des 100. Jubiläums der Adorfer Perlmutterwarenfertigung, war aus einem ehemals bedeutenden Industriezweig für die Stadt Adorf und des oberen Vogtlandes ein Handwerk mit Nischencharakter und permanenten Rohstoffproblemen  geworden.

 

„Die ersten Anfänge der Perlmutter- und Muschelschalenindustrie im Voigtlande lassen sich bis in das Jahr 1850 zurückverfolgen. Der damalige „verpflichtete Perlenfischer“ Moritz Schmerler in Oelsnitz versuchte die zur Perlenzucht untauglichen Muscheln wegen ihres schönen Glanzes zu verwerten. Er verfiel darauf, Broschen, Ohrgehänge, Feuerzeuge und Geldtäschchen daraus herzustellen und sie unter dem Titel „Souvenier Saxon“ namentlich an die Kurgäste in Bad Elster zu verkaufen. Die für die Geldtäschchen nötigen Beschläge und Scharniere versorgten die Gebrüder Ernst und Christian Schmalfuß in Adorf, und der Buchbinder F. A. Schmidt in Adorf fertigte aus Stoff die Fächer oder „Bälge“ für die Portemonnaies und leimte sie in die Schalen ein. Wir erinnern uns wohl alle noch an diese kleinen Seltsamkeiten.

Aus so kleinen Anfängen entwickelte sich nun sehr bald in Adorf die Perlmutterindustrie zu einem kaufmännisch-fabrikmäßig betriebenen Erwerbszweig, als der erwähnte F. A. Schmidt im Jahre 1851 die Konzession zum Handel mit derartigen Erzeugnissen während der Kurzeit in Bad Elster erhielt. In den Jahren 1861-1872 wurden 8.800 Stück Elsterperlmuscheln verarbeitet; doch bezog man schon im Jahre 1869 von Rehau in Bayern 100.000 Stück Muscheln, und heute kommt als einzige deutsche Muschel nur noch die bayrische Teichmuschel zur Verwendung. Alles übrige Rohmaterial bezieht man vom Ausland. So vor allem die Oelkrugschnecke oder Bourgosmuschel aus Japan, ferner die Tigermuschel, das Seeohr von Californien, das grüne Seeohr von Neuseeland, die Seeperlmuschel in den Abarten der Makassar und Manzanita von Indien, die ganz weiße und dünne Sonnenscheinmuschel und die schwarze afrikanische Pinnermuschel.

 

      

      

 

Die Muschelkataloge der führenden Firmen zeigen zum Teil gegen 7.000 Nummern von Perlmuttergegenständen; sie spiegeln die ganze Entwicklung dieses eigenartigen Industriezweiges wieder, von der Herstellung einfacher Geldtäschchen über die Einlege- und Mosaikarbeiten bis zum kunstvollen gestochenen Blumenstrauß aus bunter Perlmutter. Das Jahr 1884 brachte eine große Mode in Gürtelschnallen, Mantelschlössern und Agraffen, 1885 war ein sehr guter Absatz von Broschen in Buchstabenformen nach Italien zu verbuchen. Bald darauf traten viele „Nonveautés“ in „Nippes“ hinzu. Die Firma Nicolai begann 1891 ganze Städteansichten durch Lithographie auf Perlmutter zu übertragen, und von neuem erwies die Muschelindustrie ihre Vielfältigkeit und Anpassungsfähigkeit. Auch wieder, als im Jahre 1911 die ersten Glasbilder mit Perlmutterverzierung - übrigens eine keineswegs besonders anmutige Erfindung -  in Adorf aufkamen.

Adorf im Vogtland ist der Hauptsitz der deutschen Perlmutterindustrie noch heute, wenn auch gewisse Spezialbranchen, so die Herstellung von Perlmutterknöpfen, in anderen deutschen Orten vertreten sind. In Adorf waren in den letzten Jahren vor dem Kriege 400 Arbeiter in fünf Fabriken und mehreren Kleinbetrieben beschäftigt; trotz hohen Preisen der Rohmuscheln konnten immerhin 400.000 M. als reiner Jahresverdienst herausgewirtschaftet werden, ein Beweis für die volkswirtschaftliche Bedeutung dieses Industriezweiges für die Stadt Adorf und für das ganze obere Elstertal. Auf verschiedenen Ausstellungen erhielten die Adorfer Muschelwaren hohe Auszeichnungen, so in Dresden 1875 auf der Sächsischen Gewerbe- und Industrieausstellung, auf internationalen Ausstellungen in Antwerpen, Brüssel und Berlin 1880, wie auf der Sächsisch-Thüringischen Gewerbe- und Industrieausstellung zu Leipzig 1897.“

 

Heute, 170 Jahre nach dem Beginn der Perlmutterverarbeitung, wird in Adorf die Erinnerung an diesen Industriezweig im Perlmutter- und Heimatmuseum gepflegt und bewahrt. Für die Zukunft hat die Stadt Adorf ehrgeizige Pläne für einen erweiterten Ausbau der Perlmutterausstellung. Ob in diesem Zusammenhang auch das Grabmal von F. A. Schmidt und Louis Nicolai, den Pionieren der Adorfer Perlmutterwarenindustrie, auf dem Friedhof zu Adorf in angemessener Form verschönert wird? Hierfür wünsche ich viel Erfolg.

 

Klaus-Peter Hörr

Februar 2020