Pfarrer Moritz Friedrich Lohse *18. Okt. 1810 Limbach, † 19. Apr. 1905 Adorf i. Vogtl.
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Angeregt durch den zufällig gefundenen Text zu Pfarrer Luther recherchierte ich gezielt nach einem entsprechenen Text zu seinem in Limbach geborenen Amtsvorgänger Pfarrer Lohse. Da die entsprechenden Quellen nun bekannt waren, dauerte die Recherche nicht lange und ich wurde im „Amtskalender für evangelisch-lutherische Geistliche im Königreich Sachsen auf das Jahr 1906“ fündig. Der dort gefundene umfangreiche Text war mit dem zu Pfarrer Luther nicht zu vergleichen. Dieser ist nicht nur ein wunderbarer Nachruf seines jüngeren Bruders Louis Lohse, sondern auch ein interessanter Text zur Adorfer Schul-, Kirchen- und Stadtgeschichte mit vielen Details. Louis Lohse schrieb wie folgt:
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Sammlung Klaus-Dieter Lohse
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„Lohse, Moritz Friedrich, † 19. April 1905, P. em. von Adorf von 1852-1879. „Das Los ist gefallen aufs Liebliche; mir ist ein schön Erbteil geworden.“ So hätte mein beinahe 100 jähriger Bruder rühmen können beim Rückblick auf seine Pilgerfahrt. Entsprossen von einem kerngesunden, starken, lebensfrohen Ehepaar, war er hineingesetzt in ein bescheidenes Schulhaus, dessen eine Seite an den Gottesacker stieß. So ward schon dem Kinde die Kirche eine liebe Stätte, der Friedhof mit seinen reichen Fruchtbäumen ein trauter Garten. Dem Zweijährigen hat der Maler ein zartes Röslein in die Hand gegeben; das ernste Antlitz läßt den Verkündiger des Friedens ahnen. Sein erster Lehrer war der Vater. Er verstand es vortrefflich, das Söhnlein an scharfes Denken und sorgfältiges Arbeiten zu gewöhnen. Vor vielen Jahren fiel mir sein Schreibbüchlein von 1818 in die Hände. Mit Staunen sah ich die sauberen und feinen Züge des Achtjährigen. 1822 trat er in die lateinische Schule von Plauen. Männer wie Julius Mosen, Tischendorf, Kautzsch (?) haben ihren Namen verherrlicht. Unter den treuen Rektoren Wimmer und Dölling rang er mit großem Eifer nach wissenschaftlicher Ausbildung und konnte die Eltern beglücken mit vorzüglichen Zeugnissen bei der Reifeprüfung; er hatte aber auch der Kunst nicht vergessen. Bei dem „eisernen“ Kantor Tromlitz gewann er einen wunderbaren Anschlag auf dem Piano, der nachhielt bis in die Achtzig, und ein alter Mann in seiner Kirchgemeinde sagte ihm einmal: „Wenn Sie den Segen singen, so geht es mir eiskalt den Rücken hinab.“ Von seinen Universitätsjahren sprach er mit Begeisterung; namentlich waren ihm die Professoren Winer und Riedner ans Herz gewachsen. Als er nach dem glanzvollen Examen den letzteren zum Abschied besuchte, fragte Riedner: „Wo werden Sie sich nun erholen?“ „Ich will an den Harz.“ „Wie gern ginge ich mit Ihnen!“ „Das wäre ja herrlich, Herr Professor.“ „Ich kann nicht; ich muß arbeiten!“ Dieses Wort des hochverehrten Lehrers blieb ihm unvergeßlich. Nun hatte er die Absicht, noch ein Semester zu studieren. Da empfahl ihn sein lieber R. Dölling der Familie Schreiner in Plauen als Hauslehrer. Es war ein schwerer Kampf in seiner Seele. Da ließ er das Los entscheiden. 1835 bis 1840 weilte er in dem reichen Hause. Zwei Mädchen und zwei Knaben waren seiner Pflege anvertraut. Liebe und Vertrauen wurden ihm im reichsten Maße entgegengebracht, und sein letzter Schüler aus dem Hause Schreiner begrüßte den Neunzigjährigen wiederholt in herzlichster Weise. Im Predigerkolleg unter Sub. D. Fiedler fand er lebendige Anregung zu eifrigem Weiterstreben. Damals hatte Sachsen einen großen Überfluß an Theologen. Wohl 28 bewarben sich um das Rektorat zu Adorf. Mein Bruder zog am 7. Dez. 1840 ein in die liebe Stadt und blieb ihr „treu bis zum Grabe“. Wohl mochten die Bürger bei dem Anblick des langen, bleichen Mannes sich nicht der Sorge erwehren, daß der neue Rektor den Anstrengungen des Lehramts bald erliegen könne, aber der Herr stärkte ihn mächtig! Zwölf Jahre hat er der Schule gedient, 27 der Kirche. Mit Feuereifer trat er in sein Amt, aber die Liebe und sein feines Wesen erleichterte ihm das Regiment außerordentlich. Die Lehrer liebten ihn; die Schüler und Schülerinnen hüteten sich, ihn zu betrüben. Seine Anforderungen waren groß. Ich weiß, daß eine Schülerin mit ihren Freundinnen am Sonntag sich hinsetzte, um die gehörte Predigt auszuarbeiten. In der Kirche schrieben sie eifrig nach, die Sätze unter sich verteilend. Die Predigtbücher waren Schätze für die Familie, wie ein Ehrenzeugnis für die Schule. Bei einem Jubiläum meines Bruders brachte ein alter Bürger die Abschrift von der Disposition einer Festpredigt. Was die Kinder im Deutschen leisteten, war erstaunlich. Trotzdem waltete ein fröhlicher Geist in der Schule. Schulfeste zu veranstalten, war meinem Bruder eine große Freude, und er fand bei den Kollegen wie bei der Bürgerschaft freudigste Unterstützung. An einer Turnfahrt der Knaben nach Asch in Böhmen beteiligte er sich mit Begeisterung. Auch die Sonntagsschule förderte er tatkräftig und mit schönstem Erfolge. Unter den Trauerbriefen nach dem 19. April fand sich auch der eines hohen Beamten, der sich vom einfachen Sonntagsschüler emporgearbeitet hat. Das alte Schulhaus von Adorf bekam während der Amtierung meines Bruders plötzlich über Nacht einen gewaltigen Riß. Gott verhütete jedes Unglück, und in einem Bürgerhause fand die Schule ausreichend Herberge. Die Vorbereitungen für den Neubau forderten viel Kraft und Zeit; aber es ward ein herrliches Haus geschaffen. Nun kam das Jahr 1848. Bürgermeister Todt, der allzeit meines Bruders Bestrebungen kräftig unterstützt hatte, ward Regierungsrat. Otto Heubner, der Vater des vogtländischen Turnens, war ihm ein lieber Freund. Meines Bruders Herz schlug warm für Deutschlands Größe und Einheit; darum schloß er sich dem „Deutschen Verein“ an; das brachte ihm den Titel eines „reaktionären Rektors“. Obwohl er sich glücklich fühlte in dem Lehrerberufe, regte sich doch endlich mächtig die Sehnsucht nach einem geistlichen Amte. Sie wurde ihm erfüllt am 7. Nov. 1852. Seine feierliche Ordination erfolgte durch Sup. D. Grimm. Der dritte Geistliche fehlte, weil Diak. Just am Bette seines sterbenden Vaters saß, dessen Ende erwartend. Die erste Amtshandlung des neuen Pastors war die Trauung des zweiten Bruders, Franz Lohse, mit Emilie geb. Schuster. Ein Pfarrhaus gab es nicht; das war ein Zankapfel zwischen dem Deutschen Hause Plauen und Adorf seit dem großen Brande von 1768. Der friedliebende Pastor Lohse harrte ruhig, bis sich ihm die Pforten des Hauses öffneten. Unterdes war große Trübsal über die Gemeinde hereingebrochen. In der Nacht vom 9. – 10. Sept. 1856 brannte ein großer Teil der Stadt ab: Die sehr gefährdete Kirche wurde gerettet, namentlich durch den Heldenmut des Schornsteinfegers Berger und seines Gesellen. In der größten Angst seines Herzens kniete mein Bruder nach eifrigster Arbeit beim Löschen am Altar und flehte im Stillen um Erbarmen. Nach dem Unglück erfuhr er von einer frommen Witwe, daß auch sie in ihrem Kämmerlein mit Gott gerungen habe. Kurz vor dem Unglückstage hatten unsere Eltern Einzug in Adorf gehalten, um dort nach viel Mühe und Arbeit ihren Lebensabend zu genießen. Am Sonntag hatte unsere Mutter ein Töchterlein des P. Kuhn in Elster aus der Taufe gehoben. Nach seligem Tage wanderten die Festgenossen sorglos heim. Aber das Erwachen war entsetzlich. In nächster Nähe ihrer Wohnung loderten die Flammen auf. Mein Bruder rettete die Kirchenbücher, die Mutter den Priesterrock; dann drängte sie den Vater zur Eile in Babuschen, damit ihm kein Leid geschähe. „Die Zeit vom Erwachen bis zum Fliehen mag höchstens 15 Minuten gewährt haben.“ Hilfreiche Hände wollten der Mutter noch einen wertvollen Koffer aus dem brennenden Hause tragen, aber mein Bruder ließ es nicht zu, weil er fürchtete, es könne ein Menschenleben kosten, indem er von oben brennende Trümmer stürzen hörte. Der liebe Rektor Meyer und seine edle Gattin nahmen meinen Bruder mit unseren Eltern aufs herzlichste zu sich und räumten ihnen einen großen Teil ihrer Wohnung ein. Die Stadt stellte ihnen den Schulsaal zur Verfügung. Der Hilfsverein arbeitete mit großer Anstrengung und mit herzerquickendem Erfolge. Lieblich war es, daß für die Kinder der Abgebrannten durch Gaben aus Leipzig eine schöne Weihnachtsfeier veranstaltet werden konnte. Kaum 6 Monate nach dem Brande geriet mein Bruder in neuer Aufregung. Bei seinem demütigen Sinne traf ihn die Ernennung zum Assistent bei der Kirchenvisitation in der Ephorie Penig geradezu betäubend. Seine Briefe aus dem Frühling 1857 offenbaren das kindliche Gemüt. Eine köstliche Frucht des Auftrags, der ihm geworden, war die väterliche Liebe des Sup. D. Siebenhaar. Adorf besitzt aus uralter Zeit eine zweite Kirche. Sie war im Laufe der Jahre ganz baufällig geworden und drohte dem Einsturze. Eifrige Kirchenfreunde nahmen sich des Heiligtums an, und mein Bruder hatte am 17. Okt. 1858 die Freude, das vollständig neu gewordene Kirchlein weihen zu können. Noch fehlte die Orgel, aber eine Hanna tat ihre Schätze auf und spendete dieses Kleinod, wie sie auch vor ihrem Tode ihren frommen Sinn durch eine reiche Stiftung bekundete. Mein Bruder wurde durch die Huld des K. Ministeriums zum Pfarrer von Hohendorf b. Borna ernannt. Er würde sich wesentlich verbessert haben; er lehnte aber nach heißem Selbstkampfe dankend ab. Am 7. Dez. 1865 feierte er unter der lebendigsten Teilnahme der Gemeinde ein Jubiläum. Ob es mehr dem Lehrer oder mehr dem Pastor galt, war ihm eine gar ernste Frage. In seiner Abschiedspredigt am 29. Sept. 1879 sprach er feierlich: „Das Eine darf ich aufrichtig und getrost bekennen, daß ich nach dem Heile der mir anvertrauten Seelen bei Jung und Alt in treuer Liebe verlangt und getrachtet habe.“
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Der Genzbote 1879-10-01
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Er hatte ein fröhliches Gemüt und einen feinen Sinn für die Herrlichkeit der Natur; aber immer mußte ihn aus aller Freude ein Gewinn für den Beruf erwachsen. Im Jahre 1845 hatte er mit drei Freunden zum erstenmal den Rhein gesehen. Sein Entzücken war groß, aber es hinderte ihn nicht, auf der Rückreise über Coburg mir die ausführliche Disposition der Predigt des G. - Sub. Greßler mitzuteilen. „Wahrhaft erhoben verließ ich die Kirche.“ Seine Genügsamkeit gestattete ihm oft die Stärkung an Heilquellen; aber immer brachte er zugleich neue Frische für die Kirche mit. In Marienbad war es ihm vergönnt, mit G.-Sup. Jaspis, Kons.-Rat Kohlschütter und Rektor Palm in Berührung zu kommen. Ahlfeld lernte er in Elster kennen und bewunderte ihn später in Ems und in Schaumburg. „Es ist doch ein reichbegabter, hochgesegneter, liebevoller Mann. Gott erhalte ihn noch lange in seiner Wirksamkeit!“ Mit Domh. Brückner weilte er wie der kranke Bruder Hermann in Ischl. In Kissingen hatte sich ein „sein Kollegium“ wiederholt eingefunden: Gehrock, Jaspis, Konf.-Rat Lenz erquickten ihn. Ein Weib hat er nicht gehabt, obwohl alle Geschwister der Überzeugung waren: keines von uns wäre würdiger gewesen, ein fromm Gemahl zu haben. Sein Herz war so groß, daß es nur in Liebe lebte. Das vierte Gebot in der lieblichsten Weise zu erfüllen, war ihm vergönnt. Bei der silbernen Hochzeit der Eltern knieten wir im Kämmerlein in heiliger Wonne. Der Mutter Bruder vom Harz lauschte auch dem Gebet. Die Erziehung der Geschwister fördern zu helfen, war ihm eine heilige Freude. In ihnen sah er seine Kinder. Daß er während eines längeren Urlaubs durch unseren Sohn Christian (d. Z. P. in Kleinzschocher), der zu diesem Zwecke durch den hochverehrten Sup. Lic. Böhmel ordiniert wurde, vertreten werden konnte, empfand er als eine ideale Vaterfreude: Das große Unglück des Vaters, dem durch ein hinter ihm losgehendes Gewehr der rechte Arm zerschmettert wurde, half er kräftig tragen. Den Aufenthalt der altgewordenen Eltern suchte er lieblich zu verschönern; den durch einen Sturz von der Treppe herbeigeführten Tod des Vaters betrauerte er tief. Um so mehr war er bemüht, die Mutter bis ins 80. Jahr auf den Händen zu tragen. Die Geschwister verehrten ihn und liebten ihn herzlich. Meine nahezu 90 Jahre alte Schwester, verwittwete ? Schiller, lebt in Bautzen; mein Bruder Franz war Seminarlehrer in Annaberg, mein Bruder Hermann Diakonus an der Thomaskirche in Leipzig. Er starb nach elfjährigem schmerzlichen Verweilen in Meran. Ich, als das fünfte Glied der Geschwisterreihe, habe nie vermocht, meinem Bruder Moritz zur Rechten zu gehen, auch bei dem einfachsten Spaziergange. Lächeld bemerkte er es, aber ich konnte nicht anders. Seit Jahren schloß ich mein Abendgebet für ihn mit den Worten: „Herr mach’s mit seinem Ende gut!“ Als er bisweilen Sorge um mich trug obwohl ich ihm meine kleinen Leiden verbarg, bat ich den Herrn: „Laß ihn nicht den Schmerz erleben, auch noch den letzten Bruder begraben zu müssen.“ Das klingt sehr selbstsüchtig, aber es ist nur Ausdruck meiner heißen Liebe. Das 6. der Geschwister war Antonie verw. P. Henning; das siebente Karl, Rittergutspächter in Treuen. Er starb schon 1876. Von den Jugendfreunden meines Bruders lebt keiner mehr. „3 W“: Wiedemann, Wolf, Wimmer hatten ihn einst begleitet beim Einzug in Adorf. Sie haben ihn auch am 7. Dez. 1865 einen Freundesring gebracht. Nun schien er traurig vereinsamt; es schien aber nur so. Wie nach dem Tode der Mutter die Schwester des alten P. Steinmüller ihn treu gepflegt, so fand er fast stets aus dem Verwandtenkreise liebevolle Anregung. Mit einer der Nichten hat er im vergangenen Jahre zu seiner Ergötzung die Zahl der Neffen und Nichten und Enkelkinder festgestellt: es waren gerade 100. Auge und Ohr haben ihm bis in die Achtzig treu gedient; die Abnahme der Kraft erfolgte allmählich, und der Augenarzt urteilte beruhigend. Seit Jahren schrieb er nur mit Bleistift und ließ sich täglich vorlesen. Der Besuch der Kirche blieb ihm Herzensbedürfnis. Seinen täglichen Gang von 100 Schritten setzte er in die Neunzig fort, ebenso auch seine Gelenkübungen vor dem Schlafengehen. Sein liebes Arnsgrün, das ihn so oft im Abendglanz entzückt hatte, besuchte er zu Wagen, durch den Wald fahrend. An den Festen der Gemeinde, wie Einweihung des neuen Rathauses und des stattlichen Schulhauses, beteiligte er sich aufs lebhafteste. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel kam am 11. Juli 1904 mittags der Brand der Michaeliskirche von Adorf, verursacht durch eine Unbesonnenheit bei der Heizungsprobe. Die Stadt war starr vor Entsetzen. Was mein Bruder litt, äußerte sich nur in kurzen Seufzern. „Geliebte! Unsere liebe Kirche eine grauenvolle Ruine! Mir ist’s wie ein böser Traum. Doch scheint die gefährdete Schule, Pfarre und Diakonat gerettet. Menschenleben sind nicht verletzt worden. Gott tröste uns und die Gemeinde!“ Mitten in dem Schmerz um die geliebte Kirche traf den nach Fassung ringenden Bruder ein neuer Schlag. Die nahezu 80jährige Schwester, die als Witwe viele Jahre lang wechselweise in Thüringen und in Adorf weilte, starb nach schweren Kampfe am 4. August und wurde am 6. August zur Beerdigung nach Rudolstadt überführt. Stille in dem Herrn, wandelte mein Bruder seinen Weg weiter, an jedem Morgen einen Choral spielend. Den 94. Geburtstag feierte er in einem ganz kleinen Kreise von lieben Verwandten und Freunden, die ihm auch halfen, Briefe und Gaben zu empfangen und zu ordnen, so daß der große Tag ohne Aufregung in heiliger Freude vorüberging. Daß Sub. Herzog von Oelsnitz kam, ihn zu begrüßen, tat ihm besonders wohl. In den Weihnachtstagen erquickte er sich bis zum Neujahr am Spiel meiner Tochter Frida, die ihm Bach und Beethoven und andere Lieblinge vortrug, bis ihn nach einem Erholungsschläfchen verlangte. Als ihm im Februar meine Tochter Auguste mit einem Enkelchen besuchte, war er so wunderbar frisch, als wäre er ein Sechziger. Er scherzte mit dem Kinde und ließ sich berichten über alle Familienereignisse. Einen ganz ähnlichen Eindruck empfing mein Sohn Christian bald nachher. Der lebendige Oheim war ihm wahrhaftig ein Wunder. Niemand dachte an das Ende. Ein Katarrh stellte sich zwar ein, aber noch am 1. April schrieb mein lieber Bruder: „… hab mich letzte Nacht durch längeren, ruhigen Schlaf erquickt und gestärkt. Gott sei Lob und Dank!“ Am 8. April gab er noch brieflich meiner Tochter den Auftrag zur Versorgung einer Konfirmationsgabe für eine Enkelnichte. Plötzlich rief ein Telegramm am Palmsonntag abends meine Töchter Auguste und Frida an das Krankenbett. Am Morgen wurde mein Sohn – der Arzt – telephonisch herbeigezogen. Die Ärzte fanden den Zustand des Kranken durchaus nicht hoffnungslos, ja mein Bruder bat am Dienstag früh, die Leipziger Diakonissin möge nicht kommen, er sei ja gut versorgt. An der Mittwoch früh 7 Uhr verschied er; am Osterheiligabend ward er begraben. Am Sarge sprach mein Sohn Christian, in der Johanniskirche zuerst Pfarrer Luther, dann Sup. Herzog, dann Pf. von Zezschwitz, dann Bürgermeister Kämnitz, dann mein Sohn Gottreich, seiner seligen Mutter gedenkend, die des Entschlafenen Schülerin gewesen, dann Fabrikbes. L. Uebel. Heilige Lieder ertönten dazwischen. Im Grabe warfen 7 Amtsbrüder mit Bibelworten ein Häuflein Erde hinab. Die Gemeinde war in Einmütigkeit bestrebt, den „Ehrenbürger“ ehrenvoll zu bestatten. Der Militärverein trug ihn auf seinen Schultern, die Turner folgten. Die Fülle der Palmen und der Kränze war groß. Am Abend konnte sich mein Neffe nicht enthalten, auszurufen: „Ich habe einen Fürsten und zwei Fürstinnen mit begraben, aber so ein fürstliches Begräbnis habe ich noch nicht erlebt.“ Meine Seele aber weilte bei meinem lieben Bruder, und ich flehte innbrünstig: Ach Herr, verkläre du ihn!
(In pietätvoller Liebe geschrieben vom 85jährigen Seminaroberlehrer und Musikdirektor a. D. Louis Lohse in Plauen.)“
Welches hohe Ansehen Pfarrer Lohse bei seinen Amtskollegen genoss, belgt seine nachfolgende Ernennung zum Ehrenmitglied der Pastoralkonterenz zu Adorf i. V.
Sammlung Klaus-Dieter Lohse
Bewußt möchte ich auf weitere Ergänzungen und Erläuterungen zu einzelnen Ereignissen und Begebenheiten im obigen Text verzichten. Die Turnfahrt am 28. Juli 1848 nach Asch wird von Louis Lohse im obigen Text lediglich mit einem Satz erwähnt. Allein zur Teilnahme von Rektor Lohse an dieser Turnfaht ließe sich mehr als eine Seite schreiben. Wer sich mit der Geschichte der Stad Adorf beschäftigt, wird in vielen Quellen immer wieder auf den Rektor und Pfarrer Moritz Friedrich Lohse stoßen.
Klaus-Peter Hörr April 2022
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Durch obigen Artikel über Pfarrer Moritz Friedrich Lohse kam ich mit Herrn Klaus-Dieter Lohse in Dresden in Kontakt. Er recherchiert seit vielen Jahren zu seiner Familiengeschichte und ist ein Nachkomme des im Text erwähnten Louis Lohse. Dadurch ist er auch im Besitz diverser Dokumente zum Leben und Wirken von Pfarrer Moritz Friedrich Lohse. Dies hat mich dazu bewogen, obigen Artikel doch mit einigen Ausführungen zu seinem Engagement für die Entwicklung der Turnerbewegung in Adorf zu ergänzen.
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Oberlehrer, Organist und Heimatforscher Bruno Günther gehörte zu den Menschen, die Moritz Friedrich Lohse nicht nur aus historischen Quellen, sondern auch noch persönlich kannte. Wir können davon ausgehen, dass er sich über viele Jahre auch intensiv mit ihm als Zeit- und Augenzeuge bezüglich der Adorfer Geschichte unterhalten hat. In einem Artikel aus dem Jahre 1924 über die Geschichte des Turnens in Adorf verweist Bruno Günther auf nachfolgenden Artikel aus dem Adorfer Wochenblatt Nr. 40 aus dem Jahre 1837.
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Über die Turnanstalt zu Adorf Erfreulich muß diese Anstalt wohl für jeden Unbefangenen sein, der den hiesigen Turnübungen einige Aufmerksamkeit schenkt. Sowohl bei Erwachsenen, als auch bei kleinen Knaben hat es der Lehrer Wagner in diesem Sommer schon ziemlich weit gebracht. Nicht zu verkennen ist auch dessen Vorsicht und Aufmerksamkeit, um jeden möglichen unglücklichen Fall vorzubeugen. Nur wäre es zu wünschen, daß junge Mädchen ebenfalls Turnübungen hätten, sollte es auch nur im Schwingen bestehen, um ihnen nicht nur Körperkraft, sondern auch geraden Wuchs zu verschaffen. Hier gibt es so viele, die durch schlechte Haltung beim Nähen und Kinderwarten schief gewachsen sind. Nur durch Turnen kann das vermieden werden und bei denen, wo das Uebel nicht schon zu alt ist, auch dadurch wieder weggebracht werden.
Laut dieser Zeilen sehen wir, dass das organisierte Turnen in Adorf bereits stattgefunden hat, bevor Moritz Friedrich Lohse als Rektor nach Adorf kam.
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Schon weit vor der Gründung des Adorfer Turnvereins im Jahre 1862 engagierte er sich für das Turnen in der oben erwähnten Turnanstalt zu Adorf. Seine Begeisterung für das Turnen brachte Moritz Friedrich Lohse bereits aus seiner Zeit in Plauen mit. Sein frühes Wirken für das Turnen in Adorf belegt sein nachfolgender Aufruf an die Turnlustigen zum Pfingstfest 1845.
„Nachdem die längst gewünschte Umzäunung des hiesigen Turnplatzes mit dankenswerther Güte gestattet und bewerkstelligt und somit der drohenden Gefahr wiederkehrender Unglücksfälle außer den Turnstunden möglichst vorgebeugt worden ist, nimmt nach Beseitigung des zeitherigen Hindernisses für den Fortgang der Turnübungen und beim Wiedereintritte der sonnigeren Tageszeit der Verein hiesiger Turnfreunde nicht länger Anstand, der sich regenden Turnlust durch Veranstaltung und Leitung regelmäßiger Turnübungen mit Herz und Hand entgegenzukommen. Die Zahl der zur Ertheilung des Turnunterrichts bereitwilligen Turnfreunde ist erfreulicherweise gewachsen; die Turnübungen können mithin vermehrt und besondere Abtheilungen für die erwachsenen, wie für die jüngeren Turner eingerichtet werden. Wenn nun zu wünschen und zu erwarten ist, daß künftighin auch das kräftigere Lebensalter bei dem Turnen sich wieder betheiligen werde, so ergeht an alle Turnlustige aus dem älteren und dem jüngeren Geschlechte der turnfreundliche Aufruf zu thätiger Teilnahme an den Turnübungen mit dem Bemerken, daß die Anmeldung hierzu von Seiten der Erwachsenen bei Hrn. Cand. jur. Schopper, - von Seiten der Schulknaben unter Beibringung eines Erlaubnisscheines von den Eltern oder Pflegeeltern bei dem Unterzeichneten erfolgen sollen und im Laufe dieser Woche gewünscht werden, damit in nächster Woche an einem noch zu bestimmenden Tage das Turnen seinen Anfang nehme. So möge denn die neue Frühlingssonne, die des Eises starre Rinde gesprengt hat und die Knospen ihrer beengenden Hülle entlockt und Alles, was Odem hat, zu frischer Regsamkeit und freier Entwicklung seiner Kräfte hervorruft, auch ein neues Frühlingsleben in unser Turnwesen bringen zur Freude, zu Nutz und Frommen für den Einzelnen, wie für die Gesammtheit!
Adorf, am Pfingstfeste 1854 Im Namen des provis. Vereines der Turnfreunde
M. Lohse.
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Bemerkenswert, mit welcher Sprache man sich damals mit einem Aufruf an die Bewohner der Stadt wandte. Wie würde man heute auf einen in solcher Sprache formulierten Aufruf reagieren?
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In einem Aufsatz mit dem Titel „Zur Geschichte des Turnwesens in Adorf“ schrieb Bruno Günther 1930 wie folgt über Moritz Friedrich Lohse:
„… Zu den Freunden Carl Todts gehörte auch der Mann, dessen Augen sich am 19. April 1905, also vor 25 Jahren, für immer schlossen und dem dieser Aufsatz gewidmet sei. Sein Name ist mit goldenen Buchstaben eingeschrieben in die Geschichte unserer Stadt, die ihn wenige Jahre vor seinem Tode zu ihrem ersten Ehrenbürger ernannte. Es ist der Pfarrer Moritz Lohse. Das Rektorat an der Adorfer Stadtschule war erledigt. Wohl 28 bewarben sich um dasselbe. Lohse, der das Plauener Gymnasium besucht und nach seiner theologischen Prüfung fünf Jahre als Hauslehrer in einer Plauener Familie tätig war, wurde gewählt, empfohlen von seinem alten Plauener Lehrern Dölling und Pfretzschner (zwei gebürtigen Adorfern). Sicher spielte bei der Wahl die Bekanntschaft mit Carl Todt, dem Bürgermeister, eine Rolle, der in Lohse den kerndeutschen Mann kennen und schätzen gelernt hatte. Zwölf Jahre hat er der Schule gedient und 27 Jahre der Kirche. Mit Feuereifer trat er in das Amt, aber die Liebe und sein feines Wesen erleichterten ihm das Regiment außerordentlich. Die Lehrer liebten ihn, die Schüler hüteten sich, ihn zu betrüben. Seine Anforderungen waren groß. Was die Kinder im Deutschen leisteten, war erstaunlich. Trotzdem waltete ein fröhlicher Geist in der Schule. Sein Herz schlug immer warm für Deutschlands Größe und Einheit, darum schloß er sich immer allen vaterländischen Veranstaltungen an und wurde in seinen Bestrebungen allezeit vom Bürgermeister Todt kräftig unterstützt. Der Turnvater Otto Leonhard Heubner in Plauen war sein besonderer Freund, kein Wunder, daß er in seinem Wirkungskreis dessen Idee mit verwirklichen half und das Turnwesen zu fördern verstand. Dem im Jahre 1862 gegründeten Turnverein trat Lohse bei und zeigte ihm seine Anhänglichkeit bis in die letzten Tage seines Lebens. Zum Danke dafür ernannte ihn die Turnerschaft zu Adorf zu ihrem Ehrenmitglied. Sein Bild ziert das Turnerheim (e.V.) und es leuchtet noch fort in der Erinnerung derer, die ihm einst näher standen.“
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Die Adorfer Turner führten im Jahre 1846 eine Turnfahrt zum Kapellenberg und im Jahre 1848 eine weitere nach Asch in Böhmen durch. Über die Turnfahrt nach Asch verfasste Eduard Trauer, der an dieser teilgenommen hatte, nachfolgenden Bericht.
„Wenn zu dem am 22. August in Asch stattgefundenen Volkstage so mancher Vogtländer sich dorthin begab, um den Aschern seine nachbarliche und deutschfreundliche Sympathie zu bezeugen, so geschah dies nicht zum erstenmale. Es ist freilich schon lange her – nahezu ein halbes Jahrhundert – als am 28. Juli 1848 die Turnerschaft der Stadt Adorf zu gleichem Zwecke eine Fahrt nach Asch ausführte. Als eifriger Turner war ich natürlich auch dabei. An jenem Tage früh ½ 5 Uhr versammelten wir uns oben am Thore des Marktplatzes zu Adorf neben der Apotheke. Ein ziemlich derber Regen rieselte hernieder, aber was wollte das besagen für uns junge Turnerseelen? Wohl verschoben wir, in der Erwartung, es möchte der Himmel uns zuliebe besseres Wetter senden, den Beginn des Ausflugs von Viertelstunde zu Viertelstunde, aber keinem wäre eingefallen, daheim zu bleiben. Da ergriff der Rektor Lohse (gegenwärtig als emeritierter Pastor hochbetagt in Adorf lebend, geehrt vom Könige, geliebt von allen, die ihn kennen) das Wort. Nun muß man in der Jugend jemals eine Rede des Rektors Lohse gehört haben, um zu ermessen, was das heißt. Frei von politischem Beigeschmack, sachlich, aber durchweht von einem poetischen Hauche – so vermochten die Ansprachen des Rektors stets unsere Stimmung zu erhöhen, die jugendlichen Herzen zu erfassen. Auf die Farben unserer Turnerfahne, auf unsere Turnerpflicht verweisend, forderte der Redner uns auf, frohen Mutes zu sein bergauf bergab, unter der Glut der Sonne wie unter dem Regengusse des Himmels. Nun hielt es uns trotz des Regens nicht länger mehr am Platze – noch vor 6 Uhr ging es fort, durch die Stadt herab nach Elster zu, unter dem Kommando des Rechtsanwalts Hermann Staudinger mit den Zugführern Bürgermeister Schmidt, Rektor Lohse und einem dritten Herren, voran unsere beiden „Adjutanten“, dann 4 Tambours der damaligen Kommunalgarde, 10 Musiker, 2 Tambours der Turner; darauf folgten der 1. Zug der Turner, darauf der Fahnenzug, alsdann der 2. und 3. Zug und zum Schlusse vorsorglich ein mit 4 Pferden bespannter Omnibus. In Elster, mitten auf der Straße, dem Elsterquell gegenüber, wurde zum erstenmal Halt gemacht. Der Rektor Lohse machte uns in einer Ansprache auf die hohe Bedeutung des damals noch wenig bekannten Gesundbrunnens, dieser „Gottesgabe für das Vogtland“ aufmerksam, worauf wir dem Quell ein kräftiges, weithin erschallendes Hurrah! Entgegenriefen. Das „Gutheil!“ kannten wir noch nicht. Hart vor der sächsisch-böhmischen Grenze frühstückten wir, und zwar, wie es sich damals für einen richtigen Turner geziemte, trockenes Schwarzbrod. Das that Staudinger nicht anders. Bald darauf, bei dem Überschreiten der Landesgrenze, wurde von uns nach der Rede eines der Herren Teilnehmer dem „Deutschen Vaterlande“ ein begeistertes Hurrah! dargebracht. In Grün, dem ersten böhmischen Orte, begrüßten uns Ehrensalven, was uns jungen Leuten ungemein wohl that und ein wenig stolz machte. Trommelwirbel und Musik unsererseits wechselten mit einander ab und lockten aus den fremden Dörfern eine Menge Neugierige an. So zogen wir durch Krugsreuth. Bald darauf erblickten wir in der Ferne den altersgrauen Bergfried von Neuberg, was unser Staunen erregte. Hier war es, wo unsere Pferde scheu wurden und Kutscher, Pferde und Wagen nur durch einen geradezu wunderbaren Zufall einem Unglück entgingen. Der Kommandant Staudinger sandte einen Adjutanten voraus, um dem Gastwirt zu Neuberg unsere Ankunft zu melden. Im Gasthofe angekommen, erhielt jeder von uns sein trocken Brod, später auch Bier, bez. Wasser. Auf dem Kirchturme wehten uns zu Ehren die deutsche (schwarzgoldene) und die österreichische (schwarzgelbe) Flagge. Nun wichen wir von der Straße links ab, um auf den Hainberg vor Asch zu gelangen. Steil war der Weg und müde wurden wir, das ließ sich nun einmal nicht leugnen, aber mit jedem Schritt aufwärts wurde die Aussicht schöner, das Wetter prächtiger. Warum es der Hainberg sein mußte, wo wir mit den Aschern zusammenkommen wollten? Nun „auf den Bergen wohnt die Freiheit!“ war die Devise des Tages. Da erblickten wir auch schon oben auf der Spitze des Berges einen Herrn, der, als er uns kommen sah, den Hut schwenkte. Mit frischer Kraft ging es wieder aufwärts. Jetzt, fast auf dem Gipfel angelangt, entrollte sich ein für uns junge Leute überwältigendes Schauspiel: Hunderte von Menschen aus Asch, groß und klein, arm und reich, mit der gesamten Schuljugend, empfingen uns und „hoch! hoch!“ brauste es uns in allen Tonarten entgegen und „hoch! hoch!“ riefen wir den Aschern zurück, daß es kein Ende nehmen wollte. Von der Felsenkuppe herab wurde die schwarzrotgoldene Fahne geschwenkt und unsere Turnerfahne erwiderte den Gruß mit aller zugebote stehenden Kraft. Nun vollends angelangt, bildeten wir sogleich einen Halbkreis, die Ascher Schuljugend einen zweiten, sodaß ein großer Ring entstand. Rührend, begeisternd war der Empfang, waren die Zurufe hinüber herüber; die Herren fielen sich einander um den Hals, küßten sich unaufhörlich und weinten zum Teil vor Freude, als ob sie sich schon gekannt, dann verloren und nun wieder gefunden hätten. Allgemein war das gegenseitige Händeschütteln, das gerade durch diese Allgemeinheit unbegrenzte Freude hervorrief, und durchweg wurden wir als „deutsche Brüder aus Sachsen“ angeredet. Und die eigentliche treibende Ursache dieser Begeisterung? Wenige Monate vorher war, abgesehen von den anderen Siegen der Volksparteien, Metternich zum Sturze gebracht und schon sahen unsere Ascher Nachbarn in uns Turner den verkörperten Anfang der fast schon allen Rednern jener Tage ersehnten „Volksbewaffnung“. Angesichts der von der Höhe herab sichtbaren Gaue dreier Königreiche formierte sich nun der Zug nach der Stadt Asch, an der Spitze wieder unsere „Adjutanten“, die Tambours, die Musiker, ihnen zunächst folgend die Ascher „Honoratioren“, sodann unsere Turnerzüge und endlich die Ascher Schuljugend. Auf den Türmen wehten bei unserem Einzuge die schwarzrotgoldenen Fahnen und meine Nebenmänner behaupteten, sie hätten durch das Getöse der Trommeln hindurch Glockengeläute vernommen. Nachdem wir auf einem freien Platze (nach meinem Tagebuche „zwischen dem Rathause und der evangelischen Kirche“) aufmarschiert waren, wurden politische Reden gehalten, deren Inhalt, da so viel Ungewohntes auf mich einstürmte, ich mir nicht einprägen konnte; dann wurde gesungen und nunmehr fand unsere Verteilung an die ersten und vornehmsten Ascher Familien statt. Zugleich wurden wir veranlaßt, um ½ 2 Uhr bei dem „oberen Hofmann“ im Garten zu erscheinen. Hier zeigten wir unsere Turnkünste, wofür uns vielerlei Vergnügen dargeboten wurden. Höchstes Aufsehen erregte es, als ein Adorfer Turner, Heinrich Petzoldt, die „Riesenwelle“ ausführte und später auf dem Barren sich aufwärts schwang und, nur gestützt auf den rechten langgestreckten Arm, die Füße nach oben, sich geraume Zeit emporhielt. Diese zu damaliger Zeit hoch bewunderte Kraftleistung gelang, wenn ich mich recht erinnere, Petzold nie wieder in dieser Schönheit und Zeitdauer. Gegen 5 Uhr trafen wir Anstalt zum Abmarsch. Wieder war der Marktplatz mit Menschen angefüllt und der Zug hatte sich um mehr als ein Drittel gegen vorher vergrößert. Abschiedsreden wurden gehalten, auf Seite der Sachsen von Rektor Lohse. Als der Zug aus der Stadt heraus trat, sahen wir drei neue, anscheinend seidene Fahnen uns voran sich bewegen, die deutsche in der Mitte, zu ihrer rechten die österreichische und links die böhmische (rotweiße). Eine große Strecke weit wurden wir begleitet. Vor Neuberg machten wir Halt und nun entwickelte sich abermals eine dem Empfange ähnliche Szene, die Verabschiedung. Jetzt aber war es der Rektor Lohse, der zunächst das Wort ergriff und sich namentlich an die Jugend wandte, der die Zukunft gehöre. Es galt dies der Ascher Jugend. Darauf sprachen Ascher Herren, erbaten sich baldige Wiederkehr der „Brüder aus Sachsen“ und gaben der Hoffnung Raum, bald einmal mit einem „Heer von Ascher Turnern“ in Adorf erscheinen zu können. Leider ging diese Zusage im Wirbelsturme der damals sich jagenden großen Ereignisse nicht in Erfüllung. Noch aus der Ferne hörten wir das Hochrufen der Ascher und wir ließen es nicht an kräftiger Erwiderung fehlen. Dann kamen sie – unsere hochherzigen Wirte – uns aus den Augen und einer der schönsten Tage im Leben der Adorfer Turnerschaft hatte seinen Abschluß gefunden. Denn was könnte ich vom Rückwege wichtigeres erzählen, als was wir erlebten? Nur das eine sei noch gesagt: Als wir spät am Abend in Adorf eingetroffen waren, ergriff noch einmal unser hochverehrter Rektor das Wort, berührte flüchtig alle unsere Erlebnisse und Eindrücke, feierte den Tag als einen bleibend denkwürdigen für unser ganzes Leben und forderte uns auf, am Schlusse der Fahrt der Dankbarkeit zu genügen. „Allen denjenigen, (so schloß er), welche milde Gaben für die zwar schlichte, aber doch hochherrliche Fahrt spendeten, ganz besonders aber auch der Stadt Adorf selbst, welche 15 Thaler aus der Stadtkasse bewilligte, ohne welche die Turnfahrt nicht hätte stattfinden können, ein aus tiefsten Herzen kommendes Hurrah!“ Hiermit endete die Fahrt nach Asch, der erste Turnerzug der Sachsen nach Böhmen überhaupt.“
Dieser Bericht von Eduard Trauer zeigt an mehreren Stellen, wie engagiert Moritz Friedrich Lohse war, wenn es um die Förderung des Turnens und der Jugend ging.
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Im Nachgang des Besuches der Adorfer Turnerschaft in Asch bedankten sich die Führer des Turnzuges bei der Stadt Asch. Dieser Dank wurde im Egerer Anzeiger vom 10. August 1848 wie folgt abgedruckt:
„Dank der lieben, ehrenwerthen Stadt Asch, die dem Turnerzug aus Adorf durch die frische Blüthe ihrer Jugend, und das innige, sinnige Wohlwollen ihrer Lehrer einen eben so überraschenden, als freudig erhebenden Empfang auf der herrlichen Höhe des Hainberges bereitet; die mit so gastfreundlicher Zuvorkommenheit und wetteifernder Liebe die Turner in ihre Häuser und Alle, die den Zug begleitet, mit brüderlicher Herzlichkeit in ihren geselligen Kreis aufgenommen; die den Scheidenden ein so zahlreiches Ehrengeleite bis zu ihrem Weichbilde gegeben und dort unter deutschem Händedruck des Abschiedes ergreifende Worte zugerufen hat; - der böhmischen Stadt Asch, die ihre freundliche Gesinnung gegen die sächsische Nachbarstadt von neuem und auf das Schönste bethätigt und uns den 28. Juli zu einem unvergesslichen Freudenfeste deutscher Verbrüderung von Jung und Alt gemacht hat, unsern treuinnigsten Dank aus deutschen Turnerherzen! Ein baldiges Wiedersehen in dem nun freudig harrenden Adorf ist aller Wunsch und Hoffnung, wie es unsere letzte Bitte war.
Adorf den 2. August 1848. Im Namen der Turner und Turnfreunde die Führer des Turnzuges: Rektor Lohse, Amts-Aktuar Schmidt, Rechts-Kandidat Staudinger“
Die Turnerfahrt nach Asch im Jahre 1848 muss dort nicht nur einen großen Eindruck hinterlassen, sondern auch die Gründung eines eigenen Turnvereins im Jahre 1849 gefördert haben.
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In einem Brief vom 29. August 1894 wandte sich der Vorstand des Turnvereins Asch an Pfarrer Lohse mit der Bitte, dass sie ihn im Zusammenhang mit einem Ausflug nach Adorf besuchen dürfen. Sie wollten den Mann kennen lernen, der indirekt den Anlass zur Gründung des Ascher Turnvereins gab.
Wie stark das Engagement von Moritz Friedrich Lohse für das Turnen in Adorf war, zeigt sich auch in der Gratulation des Turnvereins zu Adorf an Moritz Friedrich Lohse anlässlich seines 50jährigen Ortsjubiläums vom Dezember 1890.
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Sammlung Klaus-Dieter Lohse
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Interessant an diesem Schreiben ist nicht nur der Dank an den Jubilar für sein jahrzehntelanges Wirken für die Turnbewegung in Adorf. Wir finden auf diesem Schreiben auch die Originalunterschriften des Vorstandes vom Adorfer Turnverein. Bemerkenswert die Tatsache, zu welchem Anlasse der Dank ausgesprochen wurde. Es war weder ein Dienstjubiläum, ein runder Geburtstag noch ein Jubiläum seiner Mitgliedschaft im Turnverein, es war das 50jährige Ortsjubiläum. Ein Jubiläum, welches nach meinem Kenntnisstand heute nicht mehr gewürdigt bzw. gefeiert wird.
Vielen Dank an Herrn Klaus-Dieter Lohse für die Unterstützung mit Material aus seiner Sammlung zum Leben und Wirken von Moritz Friedrich Lohse in Adorf.
Klaus-Peter Hörr
Februar 2023 |