Rathhaus in Adorf, mit dem I. Preise
gekrönter Concurrenz-Entwurf
Vom Architekten W. Bürger zu Chemnitz in
Sachsen
Der
Architektenwettbewerb und der Bau des Adorfer
Rathauses erregte nicht nur im Vogtland Aufmerksamkeit sondern fand auch den
Weg in die internationale Fachpresse.
In
seiner Ausgabe vom 10. Mai 1895 berichtete der in Wien erscheinende „Der
Bautechniker“ dass der Entwurf von Wenzel Bürger aus Gabel bei Reichenberg i.
B. einstimmig den ersten Preis gewonnen hat.
In
den Ausgaben vom 9. und 16. August 1895 stellte der Sieger des Wettbewerbes
sein Projekt im gleichen Fachblatt wie folgt vor.
Der nachstehend dargestellte
Rathhaus-Entwurf für Adorf; mit dem Motto „Elsterthal“
ging einstimmig mit dem I. Preis gekrönt, aus einem Wettbewerb hervor und wurde
fast unverändert zur Ausführung angenommen, wobei der Verfasser des Entwurfes
auch mit der Ausführung betraut wurde. Die Forderungen des Bauprogramms waren
folgende:
1.
Das Rathaus, welches 23,8 m Fronte nach dem Markte und
21,3 m nach der Freibergerstrasse zu hält, soll im Rohbau mit Thüren- und Fensterverkleidungen aus Pirna´schen
Sandstein oder Granit ausgeführt werden und das Erdgeschoss und einem Stockwerk
bestehen, die Wände aber eine solche Stärke erhalten, dass im Bedarfsfalle ein II.
Stockwerk aufgesetzt werden kann.
2.
Im Erdgeschoss soll im östlichen Flügel ein grosses Cassenlocal untergebracht
werden, ausserdem aber die Rathskellerwirtschaft
mit Wohn- und Schlafraum für den Wirth. In der Etage sollen die Rathsexpedition, Standesamtslocal,
Sitzungszimmer, Zimmer für den Bürgermeister und ein oder einige kleinere Räume
angeordnet werden.
3.
Das Gebäude erhält Centralheizung,
doch sind insoweit Rauchröhren anzulegen, dass in der Küche ein grosser Kochofen und auch in der Wohnung des Wirthes und in der Gaststube ein Ofen aufgestellt werden
können. Ferner ist auf die Möglichkeit der Einlegung der Wasserleitung Bedacht
zu nehmen.
4.
Das Cassenlocal, die
Gasträume und der Haupteingang im Erdgeschoss sollen Kappengewölbe erhalten,
dergleichen der Archivraum.
5.
Die Einrichtung einer Polizeiwache im Erdgeschosse ist
anzustreben.
6.
Die Einfahrt in den Hof soll von der Hellgasse und für
leichtes Fuhrwerk auch vom Markte aus erfolgen.
7.
Der letzte Termin für die Einreichung der Zeichnungen
ist der 10. April 1895. Dieselben müssen versiegelt und mit einer Aufschrift
versehen eingereicht werden, unter Beischluss eines mit derselben Aufschrift
versehenen verschlossenen Couverts, nach dessen Oeffnung
der Name und Wohnort des Verfassers zu ermitteln ist.
8.
Die Beurtheilung der
eingegangenen Zeichnungen ist einer 5gliedrigen Commission übertragen. Erst
nachdem diese alle eingegangenen Arbeiten beurtheilt
und sich darüber erklärt hat, welcher Arbeit der I. Pries und welcher der II.
Preis zukommt, erfolgt die Oeffnung des Couverts,
9.
Der Verfasser der mit dem I. Preise bedachten Pläne
ist verpflichtet gegen Gewährung einer Extravergütung einen genauen
Kostenanschlag für das zu erbauende Rathhaus auf Verlangen des Stadtrathes binnen 8 Tagen anzufertigen, nach dessen
Eingang die Zahlung der Preise erfolgt.
10.
Für Anfertigung nicht prämierter Entwürfe wird eine
Vergütung nicht gewährt.
11.
Die nach dem Markte und der Freibergstrasse gelegene
Ecke ist gebrochen darzustellen.
Wie der Architekt die geforderten Räume
angeordnet hat, geht aus der Zeichnung hervor. Aus einer Baubeschreibung
entnehmen wir das Folgende:
Die Amtsräume liegen, mit Ausnahme des Cassenraumes und der Polizeiwache, im I. Stockwerk. Vom
Markte aus, dem die dominierende Seite des Neubaues zugekehrt sein soll,
erreicht man durch ein monumentales Portal das einfach, aber charakteristisch
ausgestattete Vestibule und über Stufen einen Corridor, der zu dem links gelegenen Cassenlocale
führt. Für den Verkehr mit dem Publicum ist ein grosser Schalterraum angeordnet, so dass nur Beamte im Cassenlocale selbst verweilen.
Unter dem Cassenlocale
liegt die Durchfahrt und Polizeiwachstube, letztere auch durch die Hintertreppe
leicht erreichbar. Die Abortanlage ist so durchzuführen, dass nur eine
Abortgrube erforderlich wird. Der Eingang zur Wohnung des Wirthes
liegt auf der Hofseite. Durch einen Flur erreicht man einen Quercorridor,
daran liegen links die Aborte für Männer und Frauen rechts die Küche, die
Treppe zum Keller und Schlafzimmer, gerade gegenüber Wohnzimmer, Vereinszimmer
und Buffet des Saales.
Die grosse
Höhe des Saales ermöglichte die Anbringung von 2 Geschossen in den Räumen, die
nicht zu Schankzwecken dienen. Küche und Wohnzimmer sind 2,85 m, die darüber
liegenden Schlaf- und anderen Zimmer 2,5 m im Lichten hoch. Die Zwischendecke ist eine Holzdecke. Durch die Holztreppe
erreicht man einen Flur, von dem man nach dem Schlafzimmer des Wirths, einem
anderen Zimmer und der Mädchenkammer gelangen kann. Der obere Flur erhält sein
Licht, ausser durch Mattglasthürfüllungen,
durch ein mattes Fenster vom Treppenpodeste, das aussen
vergittert ist. Durch die untere Treppe erreicht man das Kellergeschoss; darin
liegt von der Treppe links der Heizraum der Centralheizung,
rechts der Raum für Brennmaterialien und Vorräthe.
Geradeaus erreicht man den grossen Bier- und
Weinkeller, der eine lichte Höhe von 2,5 m hat. Für grössere
Fässer und Kisten, die nach dem Keller geschafft werden sollen, sind an der
Freibergerstrasse 2 Lichtschächte so dimensioniert, dass man durch dieselben
auch sehr grosse Fässer durchbringen kann. Der ganze
Hofraum bleibt frei. Die Grenze an der Hellgasse wird durch eine Einfriedung
abgeschlossen.
Die Centralheizung
ist als Niederdruck-Dampfheizung von höchstens ½ Atm. Spannung projectiert. Vom Kesselraum gelangt der Dampf durch ein Dampfvertheilrohr in die einzelnen Heizkörper. Dieselben
sind in den Fensternischen stehend gedacht, u. zw. aus dem Grunde, weil die
Verkleidungen in diesem Falle am billigsten sind. Von den Heizkörpern führen
die Condenswasserröhren zurück nach dem Keller, ohne
den grossen Keller berühren zu müssen. Die
Ventilation geschieht folgendermaßen: In allen Räumen streicht frische Luft
durch Zuluftöffnungen an die Heizkörper vorüber und
trifft dieselbe daher vorgewärmt in den Raum. Die Abluft wird theils durch Canäle, theils durch Fensterjalousien entfernt. Auch die Aborte
haben Abluftcanäle, welche ebenso wie das Dunstrohr
der Grube direct über Dach geführt sind.
Als Baustil wählte der Verfasser die für
Rathhäuser so charakteristische deutsche Renaissance in ihren Uebergangsformen, sowohl für die Aussen-
wie auch für die Innenarchitektur. Die Verwendung von Blendsteinen und
Sandstein war vorgeschrieben. Der Verfasser erlaubte sich aber den Vorschlag zu
machen, das Erdgeschoss ganz in Sandsteinverkleidung herzustellen. Den
Sitzungssaal konnte der Verfasser, des monumentalen Mittelfensters wegen in der
Hauptfacade nicht missen. Als Material empfahl der
Verfasser für die Facaden: Sandstein und Blendziegel;
für die Mauern selbst ortsübliches Bruchstein- und Ziegelmauerwerk, sämmtliche Schwellen und Stufen von Granit. Den Kellerfussboden als Rollschichtpflaster mit Cement gefugt; die Polizeiwachstube mit Holzfussboden
und Isolirpflaster; die Durchfahrt zur Vermeidung von
Geräusch, mit Holzstöcklpflaster und Granitborden.
Für die Decken des Kellers und Erdgeschosses, sowie des Archivs ½ Stein starke
Ziegelgewölbe, im Vestibule und Restaurationssaale
mit Steinrippen. Die Fussböden des
Restaurationssaales, des Vereinszimmers, des Sitzungssaales und des Zimmers für
den Bürgermeister als eichene Riemenfussböden; Corridore, Podeste, Vestibule
u8nd Aborte mit 2-, ev. 3färbigen Marienberger oder
Mettlacher- Mosaikplatten, alles Uebrige mit Dielenfussböden. Als Bedachungsmaterial thüringer
oder englischer Schiefer, für sämtliche Spänglerarbeiten
Zinkblech, für die Thurmhaube endlich
Kupferblech-Eindeckung.
Für die Kostensumme von 80.000 Mark ist
der Bau in solieder und fachgemäßer Weise
herzustellen. Derselbe hat nach genauer Berechnung einen umbauten Raum von 5155
m³ oder eine bebaute Fläche von 400,3 m², die Höhe vom Kellerfussboden
bis Hauptgesims-Oberkante gerechnet. Nach der genannten Summe ergibt sich pro 1
m³ umbauten Raum Mk. 15,55 und pro 1 m² bebauter
Fläche MK 200. Diese Sätze entsprechen den in grossen
Städten erfahrungsgemäss erprobten und den
Normalsätzen; da nun Adorf jedenfalls günstigere Bauverhältnisse hat, so kann
mit Bestimmtheit angenommen werden, dass der Bau in gediegenster Ausführung für
die angenommene Bausumme fertiggestellt werden kann.
Wie bereits erwähnt, wurde diesem
Entwurf einstimmig der I. Preis zugesprochen, während der II. Preis den
Architekten Ludwig & Hülsner in Leipzig zufiel.
Dem Verfasser des mit dem I. Preise
gekrönten Entwurfs wurde auch die Bauausführung übertragen und ist am 20. Juli
d. J. der Grundstein des Rathhauses feierlichst
gelegt worden; das Gebäude muss heuer noch unter Dach kommen und wird
elektrisch beleuchtet werden, da die Stadt noch im Laufe dieses Jahres ein
städtisches Elektrizitätswerk errichtet, was gleichzeitig auch das ganz nahe
gelegene Bad Elster mit Elektrizität versorgen soll.
Gegenüber dem Concurrenzprojecte
ist der Ausführungsentwurf nur soweit geändert, als die Durchfahrt vom Markte
weggelassen wurde, weil der Hof von der Hellgasse erreichbar ist, an welcher
auch im nächsten Jahre ein Arrestgebäude errichtet wird. Sonst ist in der
Ausführung lediglich bei der materialauswahl geändert
worden; anstatt Elbsandstein wird rother
Mainsandstein verwendet und statt der rothen
Verblendsteine benützt man sandsteinfarbene Ullersdorfer
Verblender.
An Baukosten sind für diesen
Rathhausbau, excl. Centralheizung,
Architekten-Honorar und decorativer Malerei, Mk. 80.000 bewilligt. Mit Einschluss aller genannten
Arbeiten dürfte sich die Bausumme auf Mk. 100.000
belaufen.
Wir wünschen, dass auch bei uns die
öffentlichen Wettbewerbe in so correcter Weise
verlaufen möchten, wie es hier der Fall war, was wir aber bei unserem Protectionswesen wohl noch lange nicht erreichen werden,
wenn nicht unsere Architekten selbst für die Besserung unserer traurigen Concurrenzzustände sorgen. Vor allem Dingen sollte den
Wettbewerbern die ganze nutzlose Arbeit der Kostenvoranschläge erspart werden,
da diese keinerlei Anhalt für die Ausführung gewähren und nur zu Irreführung
Anlass geben. Die genaue Angabe des umbauten Raumes vom Kellerfussboden
bis Oberkante-Hauptgesims gewährt den Preisrichtern stets den sichersten Anhalt
zur Beurtheilung der Baukosten, nicht aber ein mit
Raffinement ausgestellter Kostenvoranschlag.
Für
Baufachleute gibt diese Beschreibung sicherlich interessante Einblicke in die
Bauplanung und das Baugeschehen von vor über 120 Jahren. Interessierte Besucher
des Rathauses sehen nach dem Lesen dieser Zeilen das eine oder andere Detail
eventuell mit anderen Augen.
Klaus-Peter Hörr