Die Weihe der Stadtfahne zu
Adorf im Jahre 1896 |
Die Hauptsatzung der Stadt Adorf/Vogtl.
informiert in Abschnitt I §2 darüber, dass die Stadt Adorf ein Wappen, eine
Flagge und ein Dienstsiegel führt. Die Flagge ist gold/schwarz längst
gestreift und trägt in der Mitte das Stadtwappen. Seit wann wird die Stadtflagge
dieses Aussehen haben? Am 15. November 1896 wurde eine andere Stadtfahne
feierlich geweiht. Wie diese aussah, warum eine neue Fahne notwendig wurde
und wie die Weihefeierlichkeiten abliefen, zeigt nachfolgender Bericht. |
„Die hiesigen
Innungen haben aus Anlaß der Erbauung des neuen
Rathauses an Stelle der bei dem Rathausbrande zu Grunde gegangenen Fahne eine
neue Stadtfahne gestiftet. Dieselbe wurde gefertigt von der Stickereifirma R.
Mühlmann in Plauen. Die Fahne besteht aus weißer Ripsseide mit schwarz-gelber
Einfassung und Goldfransen und zeigt auf der vorderen Seite das sächsische
und das Stadtwappen, welche sich schräg gegenüberstehen, überstrahlt von
einer Sonne mit den Auge Gottes, darüber zwei verschlungene Hände; auf der
Rückseite sind, umrankt von Eichenlaub, die Worte: „Gewidmet von den Innungen
der Stadt Adorf“ gestickt. Die Ausführung ist eine hochfeine und findet
allgemeine Anerkennung, umsomehr, da der Preis ein
billiger ist. |
|
|
Diese zwei Entwürfe der Firma
Fahnen Fassmann aus Plauen entstanden auf Basis der obigen Beschreibungen. https://fahnen-fassmann.de/startseite/. Das aktuelle Stadtwappen von Adorf
musste ich wegen fehlender Genehmigung durch die Stadt Adorf durch ein Foto
von Wolfgang Weigert ersetzen. Vielen Dank dafür. |
Am Sonntag Nachmittag hatte sich nun eine sehr ansehnliche
Festversammlung zur Weihe dieser Fahne und Uebergabe
derselben an die Stadtvertretung im Schützenhaussaale eingefunden. Eröffnet
wurde die Feier von den beiden Gesangsvereinen „Liederkranz“ und „Lyra“,
welche gemeinschaftlich „Dies ist der Tag des Herrn-“ mit Orchesterbegleitung
sangen. Hierauf hielt Herr Pastor Luther die Weiherede. Im Hinblick auf die
auf der Fahne befindlichen Embleme: Gottesauge, Sachsen-Wappen und
verschlungene Hände- legte er seiner Rede die Schriftworte: „Fürchtet Gott,
ehret den König, habt die Brüder lieb“ zu Grunde und weihte am Schlusse
seiner von echt patriotischem Geiste getragenen Rede die Fahne im Namen der
heiligen Dreieinigkeit. Nach dem von dem Gesangsverein „Lyra“ gesungenen
Fahnenlied von Merkel überreichten die Fahnenpaten: die Herren Bürgermeister Kämnitz, Fabrikant Louis Uebel,
Fabrikant C. W. Lots, Fabrikant Ch. A. Kolbe, Pastor em. Lohse und Fabrikant
Louis Nicolai Geschenke für die Fahne, ebenso Herr Singewald
im Namen des „Liederkranzes“ und Herr Bang im Namen der „Lyra“. Herr
Drechslermeister Friedrich Höfer, als der älteste Innungs-Obermeister,
übergab nunmehr die geweihte Fahne im Namen der Innungen mit den besten
Segenswünschen an Herrn Bürgermeister Kämnitz.
Dieser übernahm sie mit den Worten des Dankes im Namen der Stadt. Er betonte
in seiner Rede: Wie die Fahne von jeher das Symbol gewesen, um welches sich
die Streiter im Kampfe scharrten, so soll auch unsere Fahne uns mahnen zum
Kampf gegen Unsitte, gegen Lug und Trug und gegen gefährliche Umtriebe; der
Redner wies dann auf das erhabene Vorbild hin, das uns unser erlauchter
Landesvater als Führer im Streite gegeben und schloß
mit einem von der Festveranstaltung begeistert aufgenommenen Hoch auf Se.
Majestät König Albert. Nach dem
gemeinschaftlich gesungenen Liede „Brüder, reicht die Hand zum Bunde“
stellten sich die Festteilnehmer zu dem Festzuge. Derselbe bestand aus der
Feuerwehr, den kaiserlichen und königlichen Behörden, dem Lehrerkollegium,
einem Teil der Innungen, dem Wagen mit den Fahnenpaten, der Stadtfahne,
geleitet von zwei Innungsmeistern, der Stadtvertretung, dem zweiten Teile der
Innungen, dem Militärverein I., Gewerbeverein, Gesangsverein Liederkranz,
Turnverein, Gesangsverein Lyra und Militärverein König Albert. Der Zug
bewegte sich durch mehrere Straßen der Stadt und stellte sich dann vor dem
Rathause auf, wo die Stadtfahne aufbewahrt wird. Der Schluß
des Festes bildete ein Kommers im Schützenhause, welcher die Teilnehmer bei
Musikvorträgen und Gesängen, letztere sehr wirkungsvoll dargeboten von den
Gesangsvereinen Liederkranz und Lyra, in fröhlicher Stimmung zusammenhielt.
Hierbei ehrte Herr Bürgermeister Kämnitz das
Handwerk, das auch heute noch goldenen Boden habe, wenn die Meister gut und
billig lieferten. Zur Erreichung des letzteren empfahl er Bildung von
Einkaufsgenossenschaften und Benutzung der elektrischen Kraft, die mit wenig
Opfern auch den kleinsten Betrieb fördere. Herr Obermeister Höfer dankte
allen denen, welche das Fest verherrlichten und ermahnte zur Einigkeit und Bethätigung des Gemeinsinnes. Großen Jubel erntete ein
Trinkspruch des Herrn Schuldirektor Grießbach auf den Fürsten Bismarck, den
echten Handwerksmeister, der immer zwei Eisen im Feuer hatte. Es folgten noch
Trinksprüche von Herrn Prell auf die Fahnenpaten, von Herrn Pastor Lohse auf
seine früheren Schüler, von Herrn Oberlehrer Graupner
auf unsern Landsmann Reinhold Becker, dem Komponisten des „Vogtlands-Wald“
und von Herrn Buchhändler Dölling auf die Sänger.
Herr Täumer ermahnte, anknüpfend an die Worte vom
goldenen Boden des Handwerks, die Anwesenden, das Handwerk durch Kaufen im
Orte zu unterstützen. Ein von Herrn Pastor Luther auf den obersten Meister
der Stadt, Herrn Bürgermeister Kämnitz,
ausgebrachtes Hoch schloß die schöne Festfeier.“ |
Die mahnenden Worte von Bürgermeister Kämnitz,
dass die neue Fahne zum Kampf gegen Unsitte, gegen Lug und Trug und gegen
gefährliche Umtriebe mahne, könnte aus meiner Sicht auch für die heutige
Flagge parteiübergreifend gelten. |
Im Zusammenhang mit diesem Artikel
fragte ich im Perlmutter- und Heimatmuseum vergeblich nach einem Foto von
dieser Fahne nach. Weder dort noch im Rathaus ist von ihr etwas bekannt. War
diese Fahne nach 1933 nicht mehr zeitgemäß und eine neue angeschafft worden,
oder wurde diese nach Kriegsende zu einer begehrten Kriegsbeute der
Alliierten? Es kann natürlich auch sein, dass sie kurz vor Kriegsende analog
des Stadtschlüssels in Sicherheit gebracht wurde und noch heute dort auf ihre
Wiederentdeckung wartet. Auf der Suche nach weiteren
Informationen zu dieser Fahne und der Fahnenweihe konnte ich einen Blick in
die Unterlagen der Fleischerinnung von Adorf werfen. Weder in den Protokollen
der Jahrestagungen noch im Rechnungsbuch der Fleischhauerinnung gibt es
hierzu einen Hinweis. Ihnen wird die neue Fahne doch nicht „wurscht“ gewesen sein. Ob in anderen Innungs- oder
Vereinsunterlagen hierzu noch ergänzende Informationen vorhanden sind?
Praktisch wäre es durchaus möglich, dass es von der Weiheveranstaltung auch
ein Foto geben könnte. Schauen Sie doch bitte einmal in Ihren alten Karton
mit den vielen unbeschrifteten Fotos. Ob eines davon über die Fahnenweihe
berichten könnte? In der Kirchengemeinde könnte auch die komplette Weiherede
von Pastor Luther erhalten geblieben sein. |
Die Firma Richard Mühlmann in
Plauen war Ende des 19./ Anfang des 20. Jahrhunderts eine angesehene Adresse
für die Anfertigung von Fahnen. Im Bericht über das Schuljahr
Ostern 1894 bis Ostern 1895 der Städtischen Realschule Plauen i. V. von
Direktor Prof. Dr. A. Scholtze lesen wir folgendes: „Da die Geldgeschenke, die von den Abiturienten der J. 1891-94 der
Schule gemacht worden waren, einschließlich der aufgelaufenen Zinsen in Höhe
von 694 Mk. 41 Pf. erreicht hatten, beschloss das
Lehrerkollegium, diese ausreichend erscheinende Summe gemäss
dem Wunsche der Schenkgeber zur Anschaffung einer Schulfahne zu verwenden.
Mit Allerhöchster Genehmigung Sr. Majestät des Königs erteilte das
Ministerium des Innern im Einverständnis mit dem Ministerium des Kultus und
öffentlichen Unterrichts die von dem unterzeichneten Berichterstatter erbetene
Erlaubnis, dass das Kön. Sächsische Wappen in der
Fahne mit angebracht werde. Die rühmlichst bekannte
Fahnenstickerei Richard Mühlmann in Plauen übernahm den Entwurf und die
Ausführung des Kunstwerkes, das in der verhältnismäßig kurzen Zeit von 2-3
Monaten vollendet wurde.“ |
Auf Basis dieses Berichtes ist anzunehmen, dass für die
Nutzung des sächsischen Wappens für die neue Stadtfahne von Adorf gleichfalls
eine Genehmigung von allerhöchster Stelle erforderlich war. In welchen
Unterlagen wird sich dieses Schreiben heute befinden? Per E-Mail wird es
nicht gekommen sein. Interessant, dass die Stadt heute eine Stadtflagge und
keine Stadtfahne führt. Bei der Recherche zum Unterschied zwischen einer Flagge
und einer Fahne stieß ich darauf, dass dies eine oft gestellte Frage ist. Der
„Zwiebelfisch“, ein Verwandter vom Onkel Max aus der Freien Presse, beantwortete
dies einmal auf „Spiegel online“ wie folgt. Die beiden unterschiedlichen Begriffe beschreiben die
gleiche Sache, haben aber eine unterschiedliche Herkunft und Geschichte. Die
Flagge kommt aus der Seefahrt, was man an solchen Begriffen wie Flaggschiff,
Flaggoffizier und Flaggenalphabet erkennt. Die Fahne kam geschichtlich vom
Einsatz auf dem Lande. Dies bezeugen Worte wie Fähnrich, Fahnenjunker oder
Fahnenflucht. Ich hatte auch nie einen Fahnenappell
auf dem Wasser. Heute ist die Verwendung nicht mehr so streng getrennt. Das
Deutsche Herr und die Luftwaffe führen ihre Flaggenparade nach der
Zentralrichtlinie A2-2630/0-0-3 durch und können dabei nicht seekrank werden. Was wird die Stadt Adorf bewogen haben ihre Fahne Flagge
zu nennen? War an der Ausarbeitung der Hauptsatzung ein ehemaliger Seemann
oder jemand mit Erfahrungen bezüglich des diplomatischen Protokolls
maßgeblich beteiligt? Oder ob es damit zusammenhängt, dass man heute lieber
Flagge zeigt als eine Fahne hat? Egal, es wäre schön, wenn nochmals im
Rathaus nach dem Verbleib der mit viel Aufwand geweihten und von den Adorfer Innungen gestifteten Stadtfahne von 1896 gesucht
würde. Man kann es nicht anders sagen, in Berlin schaut man
genau, ob Adorf eine Fahne hat oder Flagge zeigt. Herr Reinhold hat diesen Artikel im Familienkreis genau
studiert und ist zu folgendem Ergebnis gekommen. ·
Im beschreibenden Text lasen sie von „…einer Sonne mit den Augen
Gottes“, also zwei Augen. Hier ist mir ein Schreibfehler unterlaufen,
den ich oben korrigiert habe. ·
Sie gaben den Hinweis, dass es sich bei den verschlungenen Händen auch
um die verschlungenen Hände aus der Freimaurerbewegung gehandelt haben
könnte. Die SED hatte solche verschlungenen Hände auch in ihrem Parteiemblem.
Ob sie diese den Ideen der Freimaurerbewegung entlehnt hatte oder doch eher
die Einheit der Arbeiterbewegung symbolisieren sollte? ·
Sowohl das Auge Gottes als auch die verschlungenen Hände finden sich in
weiteren Fahnen aus jener Zeit. So zum Beispiel in der Fahne des Verbandes
der Steinsetzer von Leipzig. ·
Ob in den Innungen der Stadt Adorf damals der Freimaurergedanke weit
verbreitet war und aus diesem Grunde die beschriebene Symbolik Eingang in die
Fahne gefunden hat? |
Klaus-Peter Hörr März/April/Mai 2020 |