Die Weihe der Stadtfahne zu Adorf im Jahre 1896

 

Die Hauptsatzung der Stadt Adorf/Vogtl. informiert in Abschnitt I §2 darüber, dass die Stadt Adorf ein Wappen, eine Flagge und ein Dienstsiegel führt. Die Flagge ist gold/schwarz längst gestreift und trägt in der Mitte das Stadtwappen. Seit wann wird die Stadtflagge dieses Aussehen haben? Am 15. November 1896 wurde eine andere Stadtfahne feierlich geweiht. Wie diese aussah, warum eine neue Fahne notwendig wurde und wie die Weihefeierlichkeiten abliefen, zeigt nachfolgender Bericht.

 

„Die hiesigen Innungen haben aus Anlaß der Erbauung des neuen Rathauses an Stelle der bei dem Rathausbrande zu Grunde gegangenen Fahne eine neue Stadtfahne gestiftet. Dieselbe wurde gefertigt von der Stickereifirma R. Mühlmann in Plauen. Die Fahne besteht aus weißer Ripsseide mit schwarz-gelber Einfassung und Goldfransen und zeigt auf der vorderen Seite das sächsische und das Stadtwappen, welche sich schräg gegenüberstehen, überstrahlt von einer Sonne mit den Auge Gottes, darüber zwei verschlungene Hände; auf der Rückseite sind, umrankt von Eichenlaub, die Worte: „Gewidmet von den Innungen der Stadt Adorf“ gestickt. Die Ausführung ist eine hochfeine und findet allgemeine Anerkennung, umsomehr, da der Preis ein billiger ist.

 

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Diese zwei Entwürfe der Firma Fahnen Fassmann aus Plauen entstanden auf Basis der obigen Beschreibungen.

https://fahnen-fassmann.de/startseite/.

Das aktuelle Stadtwappen von Adorf musste ich wegen fehlender Genehmigung durch die Stadt Adorf durch ein Foto von Wolfgang Weigert ersetzen. Vielen Dank dafür.

 

Am Sonntag Nachmittag hatte sich nun eine sehr ansehnliche Festversammlung zur Weihe dieser Fahne und Uebergabe derselben an die Stadtvertretung im Schützenhaussaale eingefunden. Eröffnet wurde die Feier von den beiden Gesangsvereinen „Liederkranz“ und „Lyra“, welche gemeinschaftlich „Dies ist der Tag des Herrn-“ mit Orchesterbegleitung sangen. Hierauf hielt Herr Pastor Luther die Weiherede. Im Hinblick auf die auf der Fahne befindlichen Embleme: Gottesauge, Sachsen-Wappen und verschlungene Hände- legte er seiner Rede die Schriftworte: „Fürchtet Gott, ehret den König, habt die Brüder lieb“ zu Grunde und weihte am Schlusse seiner von echt patriotischem Geiste getragenen Rede die Fahne im Namen der heiligen Dreieinigkeit. Nach dem von dem Gesangsverein „Lyra“ gesungenen Fahnenlied von Merkel überreichten die Fahnenpaten: die Herren Bürgermeister Kämnitz, Fabrikant Louis Uebel, Fabrikant C. W. Lots, Fabrikant Ch. A. Kolbe, Pastor em. Lohse und Fabrikant Louis Nicolai Geschenke für die Fahne, ebenso Herr Singewald im Namen des „Liederkranzes“ und Herr Bang im Namen der „Lyra“. Herr Drechslermeister Friedrich Höfer, als der älteste Innungs-Obermeister, übergab nunmehr die geweihte Fahne im Namen der Innungen mit den besten Segenswünschen an Herrn Bürgermeister Kämnitz. Dieser übernahm sie mit den Worten des Dankes im Namen der Stadt. Er betonte in seiner Rede: Wie die Fahne von jeher das Symbol gewesen, um welches sich die Streiter im Kampfe scharrten, so soll auch unsere Fahne uns mahnen zum Kampf gegen Unsitte, gegen Lug und Trug und gegen gefährliche Umtriebe; der Redner wies dann auf das erhabene Vorbild hin, das uns unser erlauchter Landesvater als Führer im Streite gegeben und schloß mit einem von der Festveranstaltung begeistert aufgenommenen Hoch auf Se. Majestät König Albert.

Nach dem gemeinschaftlich gesungenen Liede „Brüder, reicht die Hand zum Bunde“ stellten sich die Festteilnehmer zu dem Festzuge. Derselbe bestand aus der Feuerwehr, den kaiserlichen und königlichen Behörden, dem Lehrerkollegium, einem Teil der Innungen, dem Wagen mit den Fahnenpaten, der Stadtfahne, geleitet von zwei Innungsmeistern, der Stadtvertretung, dem zweiten Teile der Innungen, dem Militärverein I., Gewerbeverein, Gesangsverein Liederkranz, Turnverein, Gesangsverein Lyra und Militärverein König Albert. Der Zug bewegte sich durch mehrere Straßen der Stadt und stellte sich dann vor dem Rathause auf, wo die Stadtfahne aufbewahrt wird. Der Schluß des Festes bildete ein Kommers im Schützenhause, welcher die Teilnehmer bei Musikvorträgen und Gesängen, letztere sehr wirkungsvoll dargeboten von den Gesangsvereinen Liederkranz und Lyra, in fröhlicher Stimmung zusammenhielt. Hierbei ehrte Herr Bürgermeister Kämnitz das Handwerk, das auch heute noch goldenen Boden habe, wenn die Meister gut und billig lieferten. Zur Erreichung des letzteren empfahl er Bildung von Einkaufsgenossenschaften und Benutzung der elektrischen Kraft, die mit wenig Opfern auch den kleinsten Betrieb fördere. Herr Obermeister Höfer dankte allen denen, welche das Fest verherrlichten und ermahnte zur Einigkeit und Bethätigung des Gemeinsinnes. Großen Jubel erntete ein Trinkspruch des Herrn Schuldirektor Grießbach auf den Fürsten Bismarck, den echten Handwerksmeister, der immer zwei Eisen im Feuer hatte. Es folgten noch Trinksprüche von Herrn Prell auf die Fahnenpaten, von Herrn Pastor Lohse auf seine früheren Schüler, von Herrn Oberlehrer Graupner auf unsern Landsmann Reinhold Becker, dem Komponisten des „Vogtlands-Wald“ und von Herrn Buchhändler Dölling auf die Sänger. Herr Täumer ermahnte, anknüpfend an die Worte vom goldenen Boden des Handwerks, die Anwesenden, das Handwerk durch Kaufen im Orte zu unterstützen. Ein von Herrn Pastor Luther auf den obersten Meister der Stadt, Herrn Bürgermeister Kämnitz, ausgebrachtes Hoch schloß die schöne Festfeier.“

 

 

Die mahnenden Worte von Bürgermeister Kämnitz, dass die neue Fahne zum Kampf gegen Unsitte, gegen Lug und Trug und gegen gefährliche Umtriebe mahne, könnte aus meiner Sicht auch für die heutige Flagge parteiübergreifend gelten.

Die beim Rathausbrand zu Grunde gegangene Stadtfahne muss eine sehr alte Fahne gewesen sein. In einem Bericht aus dem Jahre 1848 über die Einweihung der neuen Bürgerschule in Adorf wird berichtet, dass sich der altehrwürdigen Stadtfahne die Innungen, eine ungemein große Anzahl von Bürgern und sehr viele auswärtige Freunde zu einem Festumzug durch die Stadt anschlossen. Wie alt wird sie wohl gewesen sein?

 

Im Zusammenhang mit diesem Artikel fragte ich im Perlmutter- und Heimatmuseum vergeblich nach einem Foto von dieser Fahne nach. Weder dort noch im Rathaus ist von ihr etwas bekannt. War diese Fahne nach 1933 nicht mehr zeitgemäß und eine neue angeschafft worden, oder wurde diese nach Kriegsende zu einer begehrten Kriegsbeute der Alliierten? Es kann natürlich auch sein, dass sie kurz vor Kriegsende analog des Stadtschlüssels in Sicherheit gebracht wurde und noch heute dort auf ihre Wiederentdeckung wartet.

 

Auf der Suche nach weiteren Informationen zu dieser Fahne und der Fahnenweihe konnte ich einen Blick in die Unterlagen der Fleischerinnung von Adorf werfen. Weder in den Protokollen der Jahrestagungen noch im Rechnungsbuch der Fleischhauerinnung gibt es hierzu einen Hinweis. Ihnen wird die neue Fahne doch nicht „wurscht“ gewesen sein. Ob in anderen Innungs- oder Vereinsunterlagen hierzu noch ergänzende Informationen vorhanden sind? Praktisch wäre es durchaus möglich, dass es von der Weiheveranstaltung auch ein Foto geben könnte. Schauen Sie doch bitte einmal in Ihren alten Karton mit den vielen unbeschrifteten Fotos. Ob eines davon über die Fahnenweihe berichten könnte? In der Kirchengemeinde könnte auch die komplette Weiherede von Pastor Luther erhalten geblieben sein.

 

Die Firma Richard Mühlmann in Plauen war Ende des 19./ Anfang des 20. Jahrhunderts eine angesehene Adresse für die Anfertigung von Fahnen.

Im Bericht über das Schuljahr Ostern 1894 bis Ostern 1895 der Städtischen Realschule Plauen i. V. von Direktor Prof. Dr. A. Scholtze lesen wir folgendes:

 

Da die Geldgeschenke, die von den Abiturienten der J. 1891-94 der Schule gemacht worden waren, einschließlich der aufgelaufenen Zinsen in Höhe von 694 Mk. 41 Pf. erreicht hatten, beschloss das Lehrerkollegium, diese ausreichend erscheinende Summe gemäss dem Wunsche der Schenkgeber zur Anschaffung einer Schulfahne zu verwenden. Mit Allerhöchster Genehmigung Sr. Majestät des Königs erteilte das Ministerium des Innern im Einverständnis mit dem Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts die von dem unterzeichneten Berichterstatter erbetene Erlaubnis, dass das Kön. Sächsische Wappen in der Fahne mit angebracht werde. Die rühmlichst bekannte Fahnenstickerei Richard Mühlmann in Plauen übernahm den Entwurf und die Ausführung des Kunstwerkes, das in der verhältnismäßig kurzen Zeit von 2-3 Monaten vollendet wurde.“

 

Auf Basis dieses Berichtes ist anzunehmen, dass für die Nutzung des sächsischen Wappens für die neue Stadtfahne von Adorf gleichfalls eine Genehmigung von allerhöchster Stelle erforderlich war. In welchen Unterlagen wird sich dieses Schreiben heute befinden? Per E-Mail wird es nicht gekommen sein.

 

Interessant, dass die Stadt heute eine Stadtflagge und keine Stadtfahne führt.

Bei der Recherche zum Unterschied zwischen einer Flagge und einer Fahne stieß ich darauf, dass dies eine oft gestellte Frage ist. Der „Zwiebelfisch“, ein Verwandter vom Onkel Max aus der Freien Presse, beantwortete dies einmal auf „Spiegel online“ wie folgt.

Die beiden unterschiedlichen Begriffe beschreiben die gleiche Sache, haben aber eine unterschiedliche Herkunft und Geschichte. Die Flagge kommt aus der Seefahrt, was man an solchen Begriffen wie Flaggschiff, Flaggoffizier und Flaggenalphabet erkennt. Die Fahne kam geschichtlich vom Einsatz auf dem Lande. Dies bezeugen Worte wie Fähnrich, Fahnenjunker oder Fahnenflucht. Ich hatte auch nie einen Fahnenappell auf dem Wasser. Heute ist die Verwendung nicht mehr so streng getrennt. Das Deutsche Herr und die Luftwaffe führen ihre Flaggenparade nach der Zentralrichtlinie A2-2630/0-0-3 durch und können dabei nicht seekrank werden.

 

Was wird die Stadt Adorf bewogen haben ihre Fahne Flagge zu nennen? War an der Ausarbeitung der Hauptsatzung ein ehemaliger Seemann oder jemand mit Erfahrungen bezüglich des diplomatischen Protokolls maßgeblich beteiligt? Oder ob es damit zusammenhängt, dass man heute lieber Flagge zeigt als eine Fahne hat? Egal, es wäre schön, wenn nochmals im Rathaus nach dem Verbleib der mit viel Aufwand geweihten und von den Adorfer Innungen gestifteten Stadtfahne von 1896 gesucht würde.

 

Man kann es nicht anders sagen, in Berlin schaut man genau, ob Adorf eine Fahne hat oder Flagge zeigt.

 

Herr Reinhold hat diesen Artikel im Familienkreis genau studiert und ist zu folgendem Ergebnis gekommen.

 

·      Im beschreibenden Text lasen sie von „…einer Sonne mit den Augen Gottes“, also zwei Augen. Hier ist mir ein Schreibfehler unterlaufen, den ich oben korrigiert habe.

·      Sie gaben den Hinweis, dass es sich bei den verschlungenen Händen auch um die verschlungenen Hände aus der Freimaurerbewegung gehandelt haben könnte. Die SED hatte solche verschlungenen Hände auch in ihrem Parteiemblem. Ob sie diese den Ideen der Freimaurerbewegung entlehnt hatte oder doch eher die Einheit der Arbeiterbewegung symbolisieren sollte?

·      Sowohl das Auge Gottes als auch die verschlungenen Hände finden sich in weiteren Fahnen aus jener Zeit. So zum Beispiel in der Fahne des Verbandes der Steinsetzer von Leipzig.

 

 

 

·      Ob in den Innungen der Stadt Adorf damals der Freimaurergedanke weit verbreitet war und aus diesem Grunde die beschriebene Symbolik Eingang in die Fahne gefunden hat?
Nach Auswertung von Material, welches mir von Dr. Weller aus Markneukirchen zur Verfügung gestellt wurde, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass der Freimaurergedanke in den Innungen der Stadt Adorf nicht in der Art verbreitet war, dass dieser zu einer Mitgliedschaft bei den Freimaurern führte. Die Adorfer Mitglieder waren hauptsächlich Beamte, Mediziner und Fabrikanten. Ein Handwerker war eher die Ausnahme. Da die Freimaurer durchaus auch dem christlichen Glauben verbunden waren, ist es nach meiner Auffassung müßig, darüber zu streiten, ob die Gestaltung der Fahne von den Freimaurern wesentlich beeinflusst wurde. Es ist davon auszugehen, dass die Gestaltung eng mit den Stadträten abgestimmt wurde. Für die Verwendung des sächsischen Wappens war eh die Zustimmung des Hofes in Dresden erforderlich. Dort wird man diese sicherlich nur dann erteilt haben, wenn die gesamte Gestaltung der Fahne den hohen Anforderungen entsprach. Das Spektrum der Freimauer in Adorf reichte vom ehemaligen Bürgermeister Carl Gottlob Todt über Bürgerschuldirektor Heinrich Arnold bis zum Perlmutterfabrikanten Louis Erdmann Nicolai.

Einen weiteren möglichen Hinweis auf die hier beschriebene Stadtfahne könnte ein Artikel vom 25. August 1914 im Adorfer Grenzboten geben. Dieser beschreibt, wie die Freudenbotschaft über weitere deutsche Siege mit Böllerschüssen und Glockengeläut verkündet wurden. Hierzu spielte die Stadtkapelle vom Balkon des Rathauses. Anschließend marschierte ein Zug von Erwachsenen und Schulkindern in langer Reihe durch die Stadt. Bei diesem Umzuge wurde auch die Stadtfahne mitgeführt. Ob es von diesem Ereignis ein Foto mit Stadtfahne gibt?
In Adorfer Grenzboten vom 17. November 1896 finden wir einen weiteren detaillierten Bericht über die Fahnenweihe der Adorfer Stadtfahne mit teilweisen neuen Details. „Am verflossenen Sonntag fand ein Weiheakt statt, der schon bei der Rathhauseinweihung mit vollzogen werden sollte, da aber zu jener Zeit die neue Stadtfahne noch nicht fertig war, so konnte derselbe erst jetzt erfolgen. Die neue Fahne ist als Ersatz für die bei dem Rathhausbrande mit zu Grunde gegangene alte von den Innungen der Fleischer, Bäcker, Schuhmacher, Instrumentenmacher, Schneider, Tischler, Tuchmacher, Gerber und der gemischten Handwerker der Stadt gestiftet worden, und trägt auf der einen Seite einen diesbezüglichen Vermerk, während sie auf der anderen das sächsische und das Stadtwappen zeigt, zwischen welchen als Sinnbild das Auge Gottes, wie es an dem Altar unserer Stadtkirche zu sehen, angebracht ist, worüber zwei ineinandergelegte Hände das Bild der Brüderlichkeit veranschaulichen. Das Feld der Fahne ist weiß, eingerahmt mit der Stadtfarbe schwarz und gelb und mit goldenen Fransen versehen. Der Stoff ist schwere Seide und die Stickerei ebenfalls von diesem Material. Das Fahnentuch ist mit Ringen an dem Stab befestigt. Vertreter der kaiserlichen und königlichen Behörden, die Rathskollegien, das Lehrerkollegium, der Innungen, sowie eine Anzahl Vereine versammelten sich gegen 2 Uhr im Saale des hiesigen Schützenhauses, woselbst die Weihefeierlichkeit vorgenommen wurde, da sie auf dem Marktplatz vor dem Rathhause, wie ursprünglich vorgesehen war, wegen des kalten stürmischen Wetters nicht ausführbar war. Die Feier wurde eröffnet mit dem von den Gesangsvereinen Liederkranz und Lyra vorgetragenen „Schäfers Sonntagslied“ von Kreutzer. Nachdem sich Hr. Pfarrer Luther, die Fahnenpathen, nämlich die Herren Bürgermeister Kämnitz, P. em. Lohse, Fabrikant C. W. Lots, Fabrikant Kolbe und Fabrikant Nicolai, sowie der Stadtverordneten-Vorsteher Hr. Buchhändler Dölling, einige Obermeister und drei Innungsmeister als Fahnenhalter auf das Musikpodium begeben hatten, hielt Hr. Pfarrer Luther die Weiherede. In seiner tiefdurchdachten Rede deutete er die auf der Fahne angebrachten Symbole mit dem Ausspruch: Fürchtet Gott, ehret den König und pfleget die Bruderliebe. In den mehr als 600 Jahren seit Adorf als Stadt besteht, habe das Auge Gottes über unsere Stadt gewacht und alle Noth und Drangsal überwinden lassen. Die Vaterlandsliebe und Fürstentreue werde uns leicht gemacht, gehörten wir doch als ein Volkszweig dem großen deutschen Vaterlande an, auf das wir stolz sein könnten, ebenso wie auf unseren hochverehrten König Albert, dem Vater des Vaterlandes, darum sollen wir brüderlich zusammenstehen Hand in Hand, denn nur durch Gemeinsinn, Selbstverleugnung und Thatkraft lasse sich ein großes Ziel erreichen. Nach vollzogener Weihe überreichten die Fahnenpathen unter sinnigen Ansprachen Geschenke für die Fahne und zwar Hr. Bürgermstr. Kämnitz, Hr. Buchhändler Dölling für Hrn. Ls. Uebel, der durch eine Reise am Kommen verhindert war, Hr. Fabrikant C. W. Lots und Hr. P. em. Lohse je einen Fahnennagel, sowie die Herren Fabrikanten Kolbe und Nicolai Fahnenschleifen. Hr. Fabrikbesitzer Claviez, der ebenfalls als Fahnenpathe an der Betheiligung verhindert war, ließ durch Hrn. Obermstr. Höfer Glückwünsche und die Erklärung übermitteln, daß er mit einem entsprechenden Geschenke (Schleife) nachkommen werde. Nachdem ließen noch die Gesangsvereine Liederkranz und Lyra durch ihre Herren Vorsteher je einen Nagel überreichen. Hr. Obermeister Höfer übergab hierauf mit den besten Wünschen die Fahne in die Hände des Hrn. Bürgermeister Kämnitz, welcher dieselbe mit Dankesworten entgegennahm; möge dieselbe immer sein ein Zeichen selbstloser Bruderliebe und in Stunden der Gefahr zu treuem Zusammenstehen und Festhalten an König und Vaterland mahnen. Nachdem die Gesangsvereine noch das Bundeslied vorgetragen hatten, formierte sich am Schützenhause der Festzug, der sich aus den Vertretern der Kaiserlichen und Königlichen Behörden, den städtischen Collegien, dem Lehrerkollegium, den Innungen, den Schülern, dem Militärverein I, dem Gewerbeverein, dem Gesangverein Liederkranz, dem Turnverein, der Feuerwehr, dem Gebirgsverein, dem Gesangsverein Lyra und dem Militärverein „König Albert von Sachsen“ zusammenfaßte. Unter Musikbegleitung und Mitführung der Stadtfahne nahm der Zug seinen Weg in die Stadt. Nach erfolgtem Umzug fand im Schützenhaussaal ein Commers statt, welchen Hr. Bürgermstr. Kämnitz mit einer Ansprache eröffnete. Unter Hinweis auf das frühere stolze Innungsbewußsein mahnte er die Innungen zu unablässiger Thatkraft; sei doch jetzt, wo Adorf emporblühe, mit Errichtung des elektrischen Werkes auch für das Kleingewerbe eine nicht zu unterschätzende Hülfe erwachsen. Der von einem guten Innungsgeist beseelte Bürgerstand sei eine der Hauptsäulen des Stadt- sowie des Staatslebens. Hr. Obermeister Höfer dankte und sieht der Stadt bestes Gedeihen in der Fortentwicklung des Gemeinsinnes. Hr. Dir. Grießbach, seine Rede mit dem auf das Handwerk bezüglichen Sinnspruch: „Geselle ist, wer etwas kann, Meister, wer etwas ersann und Lehrling Jedermann“ einleitend, pries den Handwerkerstand, der schon verschiedentlich auch in das politische Leben eingegriffen; der erste Innungsmeister aber sei unser Bismarck, der erst neuerdings wieder so viel angegriffene. Ein begeistert aufgenommenes Hoch war es, das den Saal durchbrauste, das Hoch auf den Fürsten Bismarck. Noch manches treffliche Wort wurde gesprochen, und erwähnen wir nur noch, daß Hr. Obermeister Prell die Fahnenpathen hoch leben ließ. Hr. P. em. Lohse dankte und wünschte Glück und Wohlergehen im Frieden und Treue und Kraft im nothgedrungenen Kampf. Hr. Oberlehrer Graupner gedachte im Anschluß an dem vom Gesangverein Liederkranz vorgetragenen „Vogtlandwald“ von Reinhold Becker der Adorfer in der Fremde und namentlich des Componisten vorerwähnten Liedes, dem ein kräftiges Hoch ausgebracht wurde. Hr. Oskar Täumer sieht in der richtigen Bethätigung des Gemeinsinns den besten Hebel zur Erreichung eines besseren Gedeihens des Handwerks: es sei dies der Einkauf am Orte. Der Bezug nach Catalogen von großen auswärtigen Geschäften mache gerader den kleinen Handwerksmann viel Schaden und nur die Aufgabe dieser Gewohnheit sei der Hebel, der dem Handwerk wieder aufhelfen könne. Hr. Pfarrer Luther gedenkt zum Schlusse noch einer Innung, die zwar als richtige Innung nicht anerkannt werde, aber doch viel zum Wohle der Stadt beigetragen habe und noch beitragen werde, der Stadtvertretung, deren Haupt noch soeben bei Übernahme der Fahne erklärt habe, daß es seine Lebensaufgabe sei, für das Wohl der Stadt zu arbeiten. Hrn. Bürgermeister Kämnitz galt das freudig aufgenommene Hoch. Damit erreichte der Commers sein Ende. Wir wollen nur noch erwähnen, daß das Stadtmusikkorps sowie die beiden Gesangsvereine die Pausen zwischen den einzelnen Reden mit ihren Vorträgen ausfüllten. Die wohlgelungene Feier wird allen Theilnehmern eine schöne Erinnerung bleiben.“ Diesem Bericht ist zu entnehmen, dass auch damals nicht alles termingerecht geliefert werden konnte. Leider können wir am Altar der Stadtkirche nicht mehr nachschauen, wie das Auge Gottes auf der Fahne ausgesehen haben könnte. So wie die Vorgängerfahne wurde auch der Altar der Kirche bereits 8 Jahre später ein Raub der Flammen. Ob vom ursprünglichen Altar noch Fotos existieren? Ja, das Auge Gottes hat mehr als 600 Jahre über die Stadt gewacht. Ob der Herr auch mal ein Auge zugedrückt oder gar weggesehen hat? Herr Pfarrer Luther forderte die Bürger auf Gott zu fürchten, den König zu ehren und den Bruder zu lieben. Die Furcht vor Gott hat stark nachgelassen wie auch die Ehre dem König bzw. dem Fürsten gegenüber. Mit der Liebe zum Bruder ist es so eine Sache. Es muss ja nicht immer Liebe sein. Wir hätten manchmal schon viel gewonnen, wenn der Bruder oder auch die Schwester mehr geachtet werden würden. Pfarrer Luthers Aussage, dass große Ziele nur durch Gemeinsinn und Tatkraft zu erreichen sind, stimmt auch heute noch im vollen Umfange wie die Aussage, dass die Stadtvertretung mit dem Bürgermeister an der Spitze viel zum Wohle der Stadt beitragen kann. Bürgermeister Kämnitz hob in seiner Rede die Notwendigkeit eines guten Innungsgeistes als Säule des Stadtlebens hervor. Diese Aussage hat auch heute Gültigkeit. Oskar Täumer warb bereits damals dafür, dass die Bürger das einheimische Handwerk und Gewerbe stärken mögen und die Waren nicht über Kataloge beziehen sollen. Ob er damals bereits geahnt hatte, wie sich dieses Thema entwickeln und verschärfen wird?

 

Klaus-Peter Hörr

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