Stollenstreik in Adorf anno 1887

 

Seit jeher sind Grenzregionen bis auf den heutigen Tag ein Gebiet von regem Grenzhandel. Mal war er legal und mal illegal. Die Nutznießer wechseln regelmäßig.

 

Das „Elbeblatt und Anzeiger“ vom 17. Dezember 1887 berichtet von einem besonderen Streik der Adorfer Bäckerinnung kurz vor dem Weihnachtsfest. Dort lesen wir Folgendes:

 

„Ein Bäckerstreik eigener Art beschäftigt jetzt lebhaft die Bewohnerschaft von Adorf. Wie kürzlich gemeldet wurde, ist es gestattet, 3 Kilo Mehl unverzollt von Böhmen nach Sachsen einzuführen. Von dieser Vergünstigung mag nun aber doch wohl ein zu ausgiebiger Gebrauch gemacht worden sein, sodaß sich die Adorfer Bäckerinnung veranlaßt gesehen hat, bekannt zu machen, daß Allen, welche das Mehl von auswärts beziehen, das Stollenbacken(zu) verweigern. Infolge dessen beabsichtigt man nun, sich wegen des Stollenbackens mit auswärtigen Bäckern in das Einvernehmen zu setzen.“

 

Laut einer anderen Veröffentlichung aus dieser Zeit war das Mehl aus Böhmen nicht nur billiger sondern auch besser als das aus Adorf und Umgebung. Wer konnte es da den Vogtländern verübeln, wenn sie sich ihr Mehl teilweise aus Böhmen beschafften. Auf der anderen Seite kann man auch die Bäcker verstehen, dass sie darüber nicht erfreut waren und zu Gegenmaßnahmen griffen. Dies vielleicht auch aus dem Grunde, weil der Mehlbezug aus Böhmen Ausmaße annahm, der einen erheblichen Einfluss auf ihr Geschäft hatte.

So lesen wir in der gleichen Zeitung vom 10. November 1888 folgende Nachricht:

 

„Als am Schlusse der letztverwichenen Woche ein Gutsbesitzer aus dem im Grenzbezirke gelegenen Dorfe Rebersreuth auf einem dreimaligen Gange und mit nur einer Zollquittung versehen in wenigen Stunden 18 Pfund Mehl aus Roßbach über die Grenze nach Obergettengrün gebracht und vor dort nach seiner Behausung bringen wollte, wurde er von einem sächsischen Grenzposten, der ihn bei seinem Treiben beobachtet hatte, angehalten, was den Verlust des Mehls und eine Geldbuße von 18 Mark zur Folge hatte.“

 

Der Gutsbesitzer hatte es wohl übertrieben. Beim zweiten Gang drückte der Grenzposten sicherlich noch ein Auge zu. Nicht immer sind alle guten Dinge drei. Manchmal ist weniger mehr.

Da der Mehlbezug aus Böhmen eine sehr lukrative Angelegenheit gewesen sein muss, und die Bürger hierbei sehr kreativ waren, sah sich die Zollbehörde per 1. Oktober 1889 veranlasst, nachfolgende Regelung einzuführen:

 

„Die Zollbehörde erläßt eine Bekanntmachung, nach welcher vom 1. Oktober ab nur solche Personen Brot und Mehl in Mengen bis zu 3 kg aus Böhmen einführen dürfen, welche von der Ortsbehörde eine Bescheinigung aufweisen können, daß sie auch wirklich Bewohner des Grenzbezirks sind. Solche Bescheinigungen dürfen nur in einem Exemplar an jede Familie ausgehändigt werden; es muß sogar darauf der Tag angegeben sein, wenn die Einführung von Mehl oder Brot stattfinden soll. Es soll dadurch der massenhaften Einfuhr von Brot und Mehl durch verschiedene Glieder einer Familie vorgebeugt werden. Ferner ist als erschwerend zu bezeichnen, daß die Einfuhr auf einer Zollstraße zu geschehen hat.“

 

Hoffen wir, dass es die heute verbliebenen Bäcker noch sehr lange geben wird. Industrielle Backwaren sind in vielen Punkten mit denen eines Handwerksmeisters nicht zu vergleichen.

 

Klaus-Peter Hörr