„Wolfsschlucht“ Adorf Markt 25

 

 

Foto Wolfgang Weigert Juli 2021


 

Wer auf dem Markt in Adorf /Vogtl. an exponierter Stelle vor dem Ensemble der „Wolfsschlucht“ steht, spürt, dass dieses mit Sicherheit sehr viel über die Geschichte der Stadt Adorf erzählen könnte. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass es ohne große aufwendige Anpassungen als Kulisse für so manchen historischen Film dienen könnte. Die Außenwandheizer sind schnell zu demontieren.

Wie lange dieser Komplex bereits an dieser Stelle steht, könnten die entsprechenden Bauakten der Stadt Adorf verraten. Wählerlisten aus dem Jahre 1836 verraten, dass auf diesem Grundstück  bereits ein Wähler Wolf wohnte. 1839 wird an anderer Stelle unter der entsprechenden Brandkatasternummer der Tuchscherer Christian David Wolff genannt. Die Archivunterlagen zur Gaststätte „Wolfsschlucht“ beginnen  im Jahre 1879. Ob das der Zeitpunkt war, an dem das heutige Haus errichtet wurde? Ab 1888 ist dokumentiert, dass auch damals schon regelmäßig die Revision der Bierdruckapparate erfolgte. Laut den mir aktuell zur Verfügung stehenden Unterlagen wird im Jahre 1888 erstmals Eduard Robert Wolf als Restaurateur und Eigentümer der Immobilie genannt.

Mit einem Blick in die frühen Wählerlisten der Stadt Adorf lässt sich dies sicherlich noch weiter konkretisieren.  Eduard Robert Wolf muss um 1895 gestorben sein. Danach hat seine Witwe Auguste die Gastwirtschaft übernommen und taucht im Adressbuch Adorf aus dem Jahre 1896 als Eigentümerin des Hauses auf. Im Jahre 1899 erfolgte die Übergabe der Gaststätte an den Sohn Otto Wolf.

Zu seinem 30jährigen Gastwirtsjubiläum berichtete der Adorfer Grenzbote 1929 wie folgt:

 

„30 Jahre Gastwirt. Am heutigen 10. August vollendet sich ein Zeitraum von 30 Jahren, seitdem der Gastwirt Herr Otto Wolf, Besitzer des Gasthauses „Zur Wolfsschlucht“ am Markt, von seiner Mutter den Betrieb der Gastwirtschaft übernommen hat. Die „Wolfsschlucht genoß von jeher den Ruf einer gemütlichen Bürgerschenke, in der sich besonders in den sorgenfreien Jahren vor dem Krieg (Erster Weltkrieg) manch feuchtfröhlicher Abend abgespielt hat, der in der Erinnerung der Teilnehmer als frohes Erbe aus heiteren Zeiten fortlebt. Herr Wolf hat es allezeit verstanden, seinen Gästen angenehmen Aufenthalt zu bieten. An seinem heutigen Jubiläumstag sei ihm der Wunsch ausgesprochen, daß er bei Gesundheit und Rüstigkeit auch weiterhin seinem Betrieb so mustergültig wie zeither vorstehen möge.“

 

Der Text spiegelt mit den Worten „frohes Erbe aus heiteren Zeiten“  die aktuelle Situation vieler Bürger auch 10 Jahre nach Ende des ersten Weltkrieges wieder. Man hat den Eindruck, dass sie keine „goldenen Zwanziger“ hatten. Damals ahnten viele noch nicht, dass es bald zum „Schwarzen Freitag“ an der Börse in New York kommen sollte.

 

Schaut man sich die Zeitungsanzeigen aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg an, kann man sich vorstellen, dass dort so manch feuchtfröhlicher Abend verbracht wurde.

 

 

 

     

  

 

Aber auch nach dem ersten Weltkrieg wurde weiter gefeiert.

 

 

 

 

Nach dem Tod von Otto Wolf beantragte seine Witwe Laura die Weiterführung und Übertragung der Schankgenehmigung. Nach deren Tod erhielt  am 12. Januar 1939 Heinrich Robert Wolf die Schankgenehmigung.

 

 

Mit der Einberufung zum Militär übernahm Ehefrau Doris Wolf 1942 die Schankgenehmigung.

 

Der über Generationen immer in der gleichen Familie befindliche Besitz der Schankwirtschaft ist mit Sicherheit auch für den Name des Hauses verantwortlich. Das bedeutet nicht, dass ausgeschlossen werden kann, dass im Hinterhaus auch einmal die eine oder andere Kugel gegossen wurde.

 

Auch die Menge der ausgeschenkten Biermengen in den Jahren 1897-1914 belegt, dass sich die Wolfsschlucht regelmäßig in der Spitzengruppe  beim Bierausschank in Adorf befand.

 

 

Jahr

Name

Gaststätte

Einfach

Lager

Böhmisch

Gesamtsumme in l

 

 

 

Summe in l

Summe in l

Summe in l

1897

Wolf, Auguste, verw.

Wolfsschlucht

42.372

1.803

0

44.175

1898

Wolf, Auguste, verw.

Wolfsschlucht

48.200

1.928

0

50.128

1899

Wolf, Auguste, verw.

Wolfsschlucht

44.672

3.350

0

48.022

1900

Wolf, Otto

Wolfsschlucht

42.046

5.438

0

47.484

1901

Wolf, Otto

Wolfsschlucht

39.456

7.761

0

47.217

1902

Wolf, Otto

Wolfsschlucht

41.478

5.518

0

46.996

1904

Wolf, Otto

Wolfsschlucht

41.808

5.662

726

48.196

1905

Wolf, Otto

Wolfsschlucht

40.460

6.025

952

47.437

1906

Wolf, Otto

Wolfsschlucht

37.885

7.566

913

46.364

1907

Wolf, Otto

Wolfsschlucht

33.889

9.083

714

43.686

1908

Wolf, Otto

Wolfsschlucht

32.377

11.115

651

44.143

1909

Wolf, Otto

Wolfsschlucht

25.672

8.659

502

34.833

1910

Wolf, Otto

Wolfsschlucht

25.362

8.206

600

34.168

1911

Wolf, Otto

Wolfsschlucht

27.211

11.095

462

38.768

1912

Wolf, Otto

Wolfsschlucht

26.241

8.512

533

35.286

1913

Wolf, Otto

Wolfsschlucht

17.560

9.846

508

27.914

1914

Wolf, Otto

Wolfsschlucht

25.563

8.342

509

34.414

 

Die Auflistung zeigt, dass dort hauptsächlich das Einfache gezapft wurde.  Das Böhmische war hier eher die Ausnahme und vermutlich gegenüber dem Bierhändler eine Geste in Bezug auf leben und leben lassen.

Im Sächsischen Landesadressbuch aus dem Jahre 1948 ist die Wolfsschlucht unter  Ernst-Thälmann-Platz 25 noch vermerkt. Der Wirt ist nicht angegeben. Dies bedeutet, dass zumindest die Gastwirtschaft den zweiten Weltkrieg überstanden hat. Von Bruno Günter existiert ein Foto von Januar 1946. Auf diesem sind bei entsprechender Vergrößerung ein sowjetisches Plakat und eine Fahne zu erkennen. Ob die Sieger die Gaststätte als Offizierskasino nutzten und ihr so das Überleben ermöglichten?

Dieter Spranger erzählte mir, dass er bei  Besuchen in Adorf zu Beginn der 1950er Jahre seine Großmutter Thekla Uebel manchmal nicht in ihrer Wohnung im Freiberger Tor antraf. In diesen Fällen ging er in die Wolfsschlucht und holte sie dort ab. Dort saß sie oft mit Ella Hochmut und einigen anderen Gästen gemütlich am Stammtisch.

Interessant ist die Tatsache, dass bei der Vielzahl mir bekannter Fotos von Adorf mir keines von der Wolfsschlucht in Erinnerung ist. Eine Durchsicht ergab, dass vom Markt hauptsächlich die andere Marktseite fotografiert wurde. Das kann auch daran liegen, dass man die südliche Seite wegen der Lichtverhältnisse nicht so gut fotografieren kann. Im Nachlass von Siegfried Brückner fand ich nachfolgende

„Luftbildaufnahme“ aus dem Jahre 1972  und ein Detail der Fassade aus dem Jahre 1988       

 

 

Ich bin mir sicher, dass es vom Gasthaus bei den Postkartensammlern auch die eine oder andere Postkarte aus längst vergangenen Zeiten zu finden ist.

Klaus-Peter Hörr

Juli 2021