Biermarke = Markenbier?

Gaststätte Deutsches Haus in Adorf

 

Als mein Buch „FRISCH AUSGESCHENKT“ vor fünf Jahren in den Druck ging, war mir bewusst, dass ich in ihm nur einen Teil der Adorfer Gaststätten- und Biergeschichte gestreift haben konnte. Ein mir damals völlig unbekanntes Thema war die „Biermarke“. Der Begriff „Biermarke“ ist nicht mit dem Markennamen des Bieres zu verwechseln.

Sylvia Donath und Wolfgang Weigert aus Adorf machten mich auf diese kleine aber wichtige Marke der Biergeschichte aufmerksam. Nach einigen Recherchen im Internet muss ich sagen, dass die „Biermarke“ durchaus einen Extraabschnitt in meinem „Bierbuch“ verdient hätte.

 

Neben dem Fußball spielt die Biermarke nach aktuellen Recherchen an den Stammtischen immer wieder eine wichtige Rolle und führt zu intensiven Debatten. Dies besonders deshalb, weil diese Marken sehr unterschiedlich gestaltet waren und so viel Spielraum für Spekulationen bieten.

Die Biermarken bestanden zuerst aus Messing, dann aus Aluminium und später auch aus Plastik und kommt ca. seit der Mitte des 19. Jh. zum Einsatz. Interessant, dass in Veröffentlichungen aus den alten Bundesländern der Begriff „Plastik“ Verwendung findet. Nach der Wende wurde ich bei der Verwendung dieses Begriffes immer darauf hingewiesen, dass ich wohl aus dem Osten sei und der korrekte Begriff hierfür Kunststoff lautet. Die DDR sein ja nun vorbei…

Der Aufdruck auf diesen Biermarken ist sehr vielfältig. Er beginnt mit einfachen Kennzeichen und endet mit der Nennung von Brauereien bzw. Gasthäusern sowie Angaben zum Wert dieser Marke (ein Glas, oder ½ l bzw. 1 l oder einer Ziffer/Kontrollnummer). Auch die Form ist sehr verschieden.

An den Stammtischen wird regelmäßig über die Funktion der Biermarken gestritten. Die eine Fraktion vertritt die Auffassung, dass es sich hierbei um Wertmarken handelte, die in der Regel von den Hausfrauen erworben und den Ehemännern ausgehändigt wurden, wenn diese ihnen bei der Hausarbeit ständig vor die Füßen liefen. Es wird sehr bedauert, dass diese Tradition nicht mehr gelebt wird. Dabei ist ungeklärt, ob dies an den Frauen oder fehlenden Biermarken liegt. Auf der anderen Seite wird behauptet, dass es sich hierbei um ein Abrechnungshilfsmittel zwischen Kellner und dem Kollegen hinterm Tresen handelte. Der Kellner tauschte die entsprechenden Marken für die bei ihm bestellten Biere am Tresen gegen gefüllte Gläser ein. So war ein einfacher Überblick über die je Kellner verkaufte Menge Bier zu jedem Zeitpunkt möglich. Mehr zu dieser Auffassung finden Sie unter

http://www.historisches-unterfranken.uni-wuerzburg.de/db/biermarken/biermarken/index.php

Manche Biermarken geben an, dass sie für den Bezug des Haustrunks der Brauereien vorgesehen waren. Dieser Bezug soll teilweise auch über Automaten erfolgt sein. Dabei konnte ich nicht recherchieren, ob es sich hierbei um Flaschenbier- oder um Fassbierautomaten gehandelt hat. Die Automatenindustrie stand den Biermarken damals sehr skeptisch gegenüber. So manche Biermarke fand den Weg in Automaten, die eigentlich für Geldmünzen ausgelegt waren. Ich erinnere mich noch an meine Studienzeit. Da konnte man auch mit bestimmten polnischen Zloty-Münzen an Automaten telefonieren. Ob wir damit die DDR ruiniert haben?

 

Das Schöne an den tiefgründigen Gesprächen an den Stammtischen ist der Umstand, dass sehr oft jeder im Recht ist. Dies ist die Gewähr dafür, dass man sich in der nächsten Woche wieder dort trifft.

Eine Presseschau in sächsischen Tageszeitungen in der Zeit von 1850-1930 ergab Folgendes:

Die Gerichtsberichte sind voll von Verfahren wegen Diebstahls und Betrugs im Zusammenhang mit Biermarken, ein Beleg dafür, dass die Biermarken nicht nur zur Abrechnung zwischen dem Kellner und dem Wirt dienten. Sie waren auch Wertmarken, mit dem man sein Bier bestellen und bezahlen konnte. Dies setzte natürlich einen vorangegangenen Erwerb voraus. Damit ist dieses Verfahren vergleichbar mit den heute üblichen Gutscheinen zu Geburtstagen oder Weihnachten. Der Verkäufer hat sein Geld und es ist ihm fast egal, ob und wann dieser eingelöst wird. So mancher wird nie eingelöst. Kennen Sie das auch? Ein Wirt spart sich hiermit die nachträgliche Abrechnerei mit dem Kellner. Es soll auch möglich gewesen sein, dass der Kellner die Biermarken vorher auf eigene Kosten kaufen musste. Nicht selten wurde mit der Ausgabe von Biermarken versucht, die Anzahl der Teilnehme an Versammlungen bzw. Veranstaltungen positiv zu beeinflussen. Sie kamen auch als Anerkennung für besondere Leistungen und Verdienste zum Einsatz. Für Feuerwehrmänner nach besonderen Einsätzen waren diese Marken ein ganz spezielles Löschwasser.

Eine interessante Handhabung der Biermarken finden wir in der „Geschichte des Corps Lusatia zu Leipzig“ aus dem Jahre 1932. Hier lesen wir Folgendes:

 

…Zwar betrug die Miete jetzt jährlich 570 Mk. gegen 100 Mk. für die letzte Kneipe in Stadt London. Aber ihr standen auch Einnahmen gegenüber. Denn während das Corps früher an den Wirt 32 Pfg. je Liter Bier bezahlen mußte, erhielt es jetzt von der Brauerei das Liter für 17 Pfg. Das ergab nach Einführung von Biermarken einen Verdienst von etwa 20 Pfg. je Liter, aus dem die Miete und der Lohn für den Corpsdiener bezahlt werden sollte. Selbst die Bewirtung des Corpsbesuchs meinte man auf diese Weise billiger gestalten zu können. Wenn sich zwar auch bald herausstellte, dass diese Rechnung nicht aufging, so bot doch die eigene Kneipe für das Corps so wesentliche Vorteile und Annehmlichkeiten, daß man die stärkeren finanziellen Lasten gern in Kauf nehmen konnte…“

 

Hier hatten Brauerei und Wirt gut gerechnet und sich die Studenten in ihrer Trinkfestigkeit überschätzt. Ein Beleg dafür, dass man nach dem Studium in der Regel schlauer ist und zumindest Grundkenntnisse in den Wirtschaftswissenschaften erworben hat.

 

Die Dresdner Nachrichten vom 29. Juli 1929 beschreiben anschaulich die Handhabung der Biermarken durch einen Kellner.

 

„…Warum nur immer geben? Warum nicht auch verdienen? Ha! Ich muß mir das Lachen verkneifen, ich muß mich bemühen, ernst zu bleiben, als ich mit dem neuesten schwarzen Jackettanzug und dem ältesten schwarzen Schlips angetan, gestern Nachmittag zum „Klausner“ in der Krausenstraße pilgere, um Aushilfskellner zu spielen. „Kateridee!“, sagen die wenigen, die ich kurz vorher ins Vertrauen ziehe. Macht Spaß, sage aber ich. Schon stehe ich mit der Serviette unter dem Arm da, nachdem ich mir im Büro die nötige Anzahl von Biermarken gekauft habe. Vier verschiedene Sorten. Damit ich sie, wenn ich mir beim Zapfer die Gläser füllen lasse, nicht verwechsle, habe ich sie schön verteilt: großes Pils linke Jackentasche, kleines Pils rechte, großes Spezi linke Hosentasche, kleine Spezi rechte. Da klappern also die eckigen, runden, ovalen, verschieden gestanzten und gepreßten Blechmarken zu 75, 50, 43, 30 Pfennig. Die zu 43 sind mir besonders verhaßt, da verheddert man sich so leicht bei der Abrechnung mit dem Gast…“

 

Der Bericht endet damit, dass der Aushilfskellner mit einem Verlust statt eines Gewinnes seine Aushilfsschicht beendete und aufzeigte, dass der Beruf eines Kellners eine sehr anstrengende Tätigkeit ist und nur dann gutes Geld verdient werden kann, wenn man sich gut auf die Kunden einzustellen vermag.

 

Den ältesten Nachweis für den Einsatz von Biermarken fand ich in einer Anzeige im Leipziger Tageblatt vom 10. Juni 1856. In dieser informiert Lange’s Brauerei, dass ab sofort auch Biermarken für Lagerbier zu haben sind, 13 Stück für 15 Neugroschen. Es folgt die Information, dass diese auch in der Restauration von Herrn Löwe angenommen werden. Das ist ein Beleg dafür, dass man sich mit diesen Biermarken bevorraten und beim Kellner bezahlen konnte. Beim Erwerb einer entsprechenden Menge an Biermarken, gab es auch einen entsprechenden Preisnachlass.

 

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Wenn 1885 „Im Tunnel des Wiener Garten-Restaurants“ damit geworben wird, dass es mit Biermarken vom Büfett 20% Rabatt gibt, muss dieses Geschäftsmodell eine interessante Alternative auch für die Wirte gewesen sein.

 

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Beziehen konnte man Biermarken aller Art zum Beispiel in Leipzig bei Robert Hartung oder Otto Christmann.

 

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Aus weiteren Anzeigen jener Zeit kann geschlossen werden, dass Biermarken auch gerne als kleine Aufmerksamkeit nicht nur von Ehefrauen an ihre Ehemänner vergeben wurden. Damit wurden Gäste in die jeweilige Lokale gelockt. Da man auch damals nur schwer auf einem Bein stehen konnte, lohnte sich diese Aufmerksamkeit in den meisten Fällen.

 

Auch in Adorf kamen Biermarken zum Einsatz. Bei der unten abgebildeten Biermarke aus der Sammlung von Wolfgang Weigert handelt es sich um eine der ehemaligen Gaststätte „Deutsches Haus“ an der Oelsnitzer Straße in Adorf. Das Hexagramm in der Mitte besagt nicht, dass das Bier dort koscher gebraut wurde, sondern ist ein so genannter Brauerstern, der auch als Zunftzeichen der Brauer bezeichnet wird. Er besteht aus zwei übereinander gelegten Dreiecken. Diese sollen die zum Brauen benötigten Elemente Feuer, Wasser und Luft bzw. die Zutaten Wasser, Malz und Hopfen symbolisieren.

 

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Sammlung Peter Jacob

 

Laut Dr. Bernd Thier vom Stadtmuseum Münster  ist die 15 eine Wertangabe (15 Pf.) und entsprach im Zeitraum 1910-1916 den Preis für eine Glas Bier. Die oben abgebildete Marke könnte durchaus auch für einen Automaten einsetzbar gewesen sein. Da stellt sich die Frage, ob die Firma Kirmse aus Adorf auch Bierautomaten fertigte. Ihre Messeanzeige aus dem Jahre 1905 schließt dies nicht aus.

 

 

Über das Herstellungsjahr bzw. den Einsatzzeitraum im „Deutschen Haus“ gibt die Marke leider keine Auskunft. Was bekannt ist, sind folgende Daten:

 

Zum 1. Oktober 1876 übernahm E. Haferkorn den „Gasthof zum grünen Baum“ und änderte den Namen auf „Deutsches Haus“. Das Adressbuch von 1896 nennt als Wirt Theodor Müller. Die weiteren Pächter sehen Sie in der nachfolgenden Tabelle. Daraus ist ersichtlich, dass es einen regen Pächterwechsel gab.

Im Januar 1917 erklärt Frau Meissner, dass das Gewerbe seit 1. Januar 1917 nicht mehr ausgeführt wird. Es ist anzunehmen, dass Franz Meissner zu diesem Zeitpunkt im Felde bzw. gefallen war. Dass das Gasthaus danach nochmals geöffnet wurde, ist aus den Unterlagen nicht ersichtlich. Leider können wir niemanden mehr fragen, wie vor über 100 Jahren die Verwendung der Biermarken im „Deutschen Haus“ gehandhabt wurde. Zumindest ist hiermit klar, dass die obige Biermarke aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg stammt.

 

Jahr

Wirt

Einfach

Lager

Böhmisch

Gesamtsumme in l

Summe in l

Summe in l

Summe in l

1897

Thoß, Carl

20.642

10.655

0

31.297

1898

Thoß, Karl

19.754

5.553

0

25.307

1899

Thoß, Carl (jetzt Beutner)

11.522

4.466

0

15.988

1900

Beutner, Otto

23.150

4.758

0

27.908

1901

Beutner, Otto

12.344

1.549

0

13.893

1902

Meinel, Albert

18.354

3.372

0

21.726

1903

 

 

 

 

 

1904

Holler, Georg

18.037

1.561

840

20.438

1905

Holler, Kurt; Richard Zöphel

18.725

1.141

638

20.504

1906

Geigenmüller,

21.905

1.345

591

23.841

1907

Geigenmüller, Albert

19.935

2.803

600

23.338

1908

Geigenmüller, Albert

21.983

3.555

600

26.138

1909

Geigenmüller, Albert

19.793

3.662

0

23.455

1910

Geigenmüller, Albert

15.035

4.183

600

19.818

1911

Viertel, Emil

13.865

9.508

718

24.091

1912

 

8.270

22.628

998

31.896

1913

Meißner, Franz

4.583

31.114

1.531

37.228

1914

Meißner, Franz

2.949

24.878

2.176

30.003

 

Laut der obigen Tabelle über die ausgeschenkten Biere im Deutschen Haus der Jahre 1897-1914  lag das Deutsche Haus in der Summe im Vergleich zu den anderen Gaststätten jeweils im ersten Drittel.  Geht man von einem Jahresumsatz von 30.000 l in 350 Tagen aus, wurden im Durchschnitt täglich ca. 171 ½ l Gläser verkauft. Der Spitzenwert dürfte zu besonderen Anlässen jenseits der 500 Gläser gelegen haben. Das würde bedeuten, dass hierfür auch die entsprechende Anzahl von Biermarken vorrätig gewesen sein müssten. Wo werden diese geblieben sein? Eingeschmolzen für Kanonen?

 

Wenn wir uns den Gastraum auf der obigen Ansichtskarte aus der Sammlung von Peter Jacob ansehen, können wir erahnen, was für einen imposanten Gastraum das „Deutsche Haus“ hatte. Wenn die schöne Judith servierte, saßen die Biermarken besonders locker.

 

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Ob sich heute bei den Numismatikern in Adorf noch die eine oder andere Biermarke in den Alben befindet? Es ist nicht auszuschließen, dass mit diesen Marken in der Weihnachtszeit in den Kaufmannsläden der Einkauf bezahlt wird. Mögliche Restaurants für den Einsatz solcher Biermarken auf Basis der ausgeschenkten Biermengen wären u. a. Walthers Restaurant, der Blaue Engel, die Bahnhofswirtschaft von Fritz Werthschützky oder auch das Feldschlößchen gewesen. Natürlich kann man kleinere Wirtschaften nicht ausschließen.

 

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Foto: Rudolf Richter, Wien, Quelle:

wertmarkenforum.de/adorf-consum-verein-wertmarke/

 

Laut Katalog von Peter Menzel gibt es folgende weitere Biermarken aus Adorf: 2 x Consum-Verein, Schützenhaus Adorf, 3 x Stadt Adorf, sowie Teppich- und Textilwerke AG Adorf.

Wofür wird die Stadt Adorf ihre Biermarken eingesetzt haben? Bisher konnte ich hierzu aus der Stadtverwaltung keine Antwort erhalten. Waren sie für die tapferen Feuerwehrmänner nach großen Einsätzen gedacht oder für die erschöpften Stadträte nach stundenlangen Sitzungen für eine Erfrischung im Ratskeller?

Die Biermarke vom Deutschen Haus wird im obigen Katalog von Peter Menzel nicht erwähnt, demnach sicherlich eine besondere Rarität.

Ob es noch weitere Biermarken aus Adorf gab? Über entsprechende Fotos zur Ergänzung in diesem Artikel würde ich mich freuen. 

 

Für Arbeitgeber, die sich mit dem Thema Jobticket für die Mitarbeiter nicht anfreunden können, wäre die Wiedereinführung von Biermarken für Markenbiere als eine Form der Mitarbeiterbindung und Nachwuchsgewinnung aus meiner Sicht eine echte Alternative und gleichzeitig nachhaltige Wirtschaftsförderung im doppelten Sinne.

 

Was damals wie heute unstrittig ist, ist der Fakt, dass das Bier ein wertvolles Lebensmittel ist. Laut Arzt und Apotheker macht, wie bei vielen anderen Dingen, lediglich die Menge das Gift.

Der Deutsche Brauer-Bund e.V. kämpft seit Jahren vergeblich gegen die Behauptung, dass man vom Bier einen so genannten Bierbauch bekommt. Der BMI-Rechner unter https://www.bmi-rechner.net/kalorientabelle.htm bestätigt, das auf 100 ml ein Bier 40 kcal, die 3,5 % Milch aber 64 kcal und der Apfelsaft 44 kcal beinhaltet. Ein Milchbrötchen bringt es auf stolze 225 kcal/100g. Da lob ich mir die Bier-Diät.

 

Ob analoge Biermarken auch in Böhmen oder Griechenland zum Einsatz kamen? Unsere Wirte aus diesen Ländern können hierzu sicherlich Auskunft geben?

 

Prost!

Klaus Peter Hörr