Die Adorfer Eisbahn

 

Die Bürger von Adorf verdanken die Errichtung einer Eisbahn im Jahre 1883 einem Hochwasser im Jahr zuvor, frostigen Temperaturen und einem Stadtrat, der beherzt handelte und keine kalten Füße bekam.

Wie es begann, schilderte am 20. November 1883 die in Großenhain erscheinende Zeitung „Elbeblatt und Anzeiger“ wie folgt:

 

„Adorf, 16. November.

Während des vergangenen Winters hatten wir hier infolge des kurz vor Eintritt der Winterkälte eingetretenen Hochwassers eine prachtvolle Eisbahn, auf welcher Alt und Jung sich dem Vergnügen des Eislaufs hingab. Damals schon wurde der Wunsch laut, es möchte sich ein Eislaufverein bilden, der dafür sorgen sollte, daß einige Wiesen durch künstliche Ueberschwemmung zu Eisbahnen umgestaltet werden möchten. Unsere Stadtvertretung hat in richtiger Würdigung der Wichtigkeit der körperlichen Uebungen, so berichtet das „Ch. T.“, in einer gestern abgehaltenen gemeinschaftlichen Sitzung den Beschluß gefaßt, einige der Stadt gehörigen Wiesen zur Schlittschuhbahn einzurichten. Ein hiesiger Restaurateur hat schon einen hübschen Pacht geboten, doch wird ihm zur Bedingung gemacht, daß er von Schulkindern gar kein Eintrittsgeld erheben darf, während Erwachsene höchstens 6 Pfennige entrichten sollen. Diese Einrichtung wird von allen Freunden des Eissports, namentlich von der Kinderwelt, mit großer Freude begrüßt. Es muß allerdings erst noch ein Damm aufgeworfen und ein Graben für die Bewässerung gezogen werden, ehe die Ueberschwemmung der Wiesen möglich ist.“

 

Bemerkenswert, wie schnell die Stadtverwaltung damals den Beschluss des Stadtrats umgesetzt hatte und den dafür erforderlichen Damm und den Bewässerungsgraben errichten ließ. Dabei störte damals nicht, dass sich zu dieser Zeit unterhalb der Stadt in der Elster Fischotter tummelten, die als Fischräuber bezeichnet und gejagt wurden. Ich glaube, heute könnte ein solcher Plan nicht mehr umgesetzt werden.

 

Liest man nachfolgenden unter den 14. Januar datierten Bericht im Leipziger Tageblatt und Anzeiger vom 16. Januar 1883 kann man verstehen, dass der Stadtrat und die Stadtverwaltung kaum anders entscheiden konnten.

 

Gestern Abend hatte die Gesellschaft Casino hier auf einer bei der Hochfluth überschwemmten, jetzt aber mit einer prachtvollen Eisdecke überzogenen Wiese mit Erlaubnis der Besitzer ein Eisfest veranstaltet, bei welchem sowohl Mitglieder wie Nichtmitglieder bei den Klängen der Musik und bei splendiger Beleuchtung durch Pechfackeln dem Vergnügen des Eislaufens sich hingaben. Wie groß der Bedarf an Schlittschuhen seit Weihnachten hier war, beweist die Thatsache, daß vorgestern kein Händler ein paar Schlittschuhe mehr hatte, und daß an einem Tag allein gegen 30 Paar abgingen. Die Eisbahn ist allerdings so schön, wie sie hier noch nicht war.“

 

Der Begriff „splendig“ sagte mir zuerst gar nichts. Geht man von dem englischen Wort „splendid“ aus, muss die Beleuchtung einfach nur herrlich gewesen sein.

Die Gesellschaft Casino hatte die Eisbahn durch das Hochwasser und den anschließenden Frost praktisch vor der Haustüre. Laut einer Anzeige aus dem Jahre 1879 befand sich ihr Vereinslokal im Hotel Schumann, später umbenannt in Hotel Victoria.

 

C:\Users\Hörr\Klaus\Adorf\Adorfer Wochenblatt-Grenzbote\Adorfer Grenzbote Fotos von Anzeigen-Artikel\1879-10-08 Casino Gesellschaftsabend  im Hotel Schumann IMG_7827.JPG

 

Es ist zu vermuten, dass sich die Eisbahn zuerst auf einem Wiesengrundstück in der Mehltau befand. Am 9. Juni 1897 berichtete der Adorfer Grenzbote, dass der Bau der Fabrikstickerei Bammler bei der ehemaligen Eisbahn beginnt. Laut Adressbuch von 1904 befand sich diese Stickereifabrik in der Mehltau 1. Die Meldung vom 9. Juni 1897 deckt sich mit einer früheren vom 12. September 1896, in der berichtet wird, dass die Stadt auf den Elsterwiesen eine öffentliche Schlittschuhbahn anlegen wird. Somit war ein Umzug geplant.

Gemäß nachfolgender Meldung in der „Zweiten Beilage zum Leipziger Tageblatt und Anzeiger“ vom 18. Dezember 1883 kann davon ausgegangen werden, dass sich die Adorfer Eisbahn regulär mindestens seit dem Winter 1883/84 in der Mehltau befand.

 

„Auf einem der Stadt gehörigen Wiesengrundstück ist eine Eisbahn auf Kosten der Stadt eingerichtet und an Herrn Schießhauswirth Becker für 105 M jährlich verpachtet worden. Während der wenigen kalten Tage dieses Monats war das Schlittschuhlaufen darauf möglich; aber jetzt ist nur eine Wasserfläche dort zu sehen.“

 

Schießhauswirt Becker hatte das Schützenhaus zum 1. Mai 1879 als Pächter übernommen. Ob die Priv. Schützengesellschaft Adorf auf der vom Schießhauswirt Becker gepachteten Eisbahn an frostigen Tagen auch ein Eisstockschießen veranstaltete, ist bisher nicht bekannt. Ob die Adorfer Schützen mehr zu diesem Thema wissen? Die oben genannten 105 M Pacht waren bei einem Eintritt von 6 Pf für Erwachsene ein stolzer Betrag. Um diese Kosten zu realisieren, mussten allein 1.750 zahlende Schlittschuhläufer den Weg auf das Eis finden. Verdient wurde sicherlich durch den Verkauf von heißen und kalten Getränken und eventuell auch durch Speisen.

 

C:\Users\Hörr\Klaus\Adorf\Adorfer Wochenblatt-Grenzbote\Adorfer Grenzbote Fotos von Anzeigen-Artikel\GH Schützenhaus\1879-05-03 Schützenhaus übern. Arnold Becker IMG_7777.JPG

 

Laut https://kachelmannwetter.com  muss es im Jahre 1883 auch zu Weihnachten mit ca. 3°C keine Möglichkeiten zum Schlittschuhlaufen in Adorf gegeben haben. Waren das die ersten Vorboten einer globalen Erwärmung?

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Eigene Bilder\Adorf\HSA Dresden Günther\1904 Eisbahn Adorf Günther 41 - Kopie.jpg

Städtische Eisbahn 1904

 

Den bisher ältesten Hinweis auf eine Verpachtung der Eisbahn an der Elsterstraße finden wir in einem Schreiben vom 24. April 1899 an den Stadtrat zu Adorf. In diesem beantragt August Schreckenbach erneut vergeblich eine Schankkonzession für sein Haus in der heutigen Elsterstraße 58. In diesem Schreiben führte er u.a. folgendes aus: „… Der hochgeehrte Stadtrat hat mir schon einige Jahre das Vertrauen geschenkt und an mich die städtische Eisbahn verpachtet und mir dabei die volle Schankgerechtigkeit erteilt…“  Demnach wurde auf dem zugefrorenen Teich nicht nur Sport getrieben sondern auch für das leibliche Wohl gesorgt. Wo werden wohl die Getränke ausgeschenkt worden sein? Ob es damals an der Eisbahn noch ein geeignetes Gebäude gegeben hat?

Durch weitere Recherchen kann bestätigt werden, dass August Schreckenbach bereits im Jahre 1897 Pächter der Eisbahn war. Schon bei ihm wurde nicht nur mit den Schlittschuhen auf dem Eis gefahren sondern mit einer italienischen Nacht oder einem Eis-Concert auch ein Unterhaltungsprogramm geboten.

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Adorfer Wochenblatt-Grenzbote\2017_08_16 Adorfer Grenzbote SLUB\1897-01 August Schreckenbach Pächter Eisbahn IMG_7741.JPG   C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Adorfer Wochenblatt-Grenzbote\2017_08_16 Adorfer Grenzbote SLUB\1897-01-28 Eisbahn Aug. Schreckenbach IMG_7743.JPG

 

Der Winter 1897 muss nicht sehr kalt und damit ungünstig für den Betrieb der Eisbahn gewesen sein. Aus diesem Grunde lesen wir im Protokoll der Stadtverordnetenversammlung vom 26.2.1897 folgendes: „Dem Pächter der städtischen Eisbahn, Herrn August Schreckenbach soll aus Anlaß verschiedener mißlicher Umstände, wie Durchlässigkeit des Dammes, Ungunst des Wetters usw. der Pacht vollständig erlassen werden. Der Rathsbeschluß will den Pacht aber nur soweit herabsetzen, daß die vierprozentige Verzinsung des Anlagekapitals erreicht werde.“

 

Im Jahre 1905 war August Hertel Pächter der Eisbahn. Dass die Eisbahn mit Freude angenommen wurde, belegt ein Artikel im Adorfer Grenzboten vom 26. Januar 1905. Es wird von einem gelungenen Kostümfest für Kinder mit Preisverleihung berichtet. Als ersten Preis gab es natürlich ein Paar preiswerte Schlittschuhe. Ob ein Exemplar der damals verwendeten Schlittschuhe im Perlmutter- und Heimatmuseum in der Abteilung Sport und Freizeit zu besichtigen ist? Da das Fest so gelungen war, sollte es nach 1-2 Wochen wiederholt werden.

Das obige Bild aus dem Jahre 1904 belegt, dass die Eisbahn gut angenommen wurde. Es ist nicht bekannt, ob dieses an einem normalen Tag oder bei einer Veranstaltung aufgenommen wurde. Ein grober Überschlag ergibt, dass auf dem Bild ca. 100 Personen und davon ca. 50 % Kinder zu sehen sind. Sowohl Damen als auch Herren gingen damals mit Hut auf das Eis.

 

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Julius Wiederer lud im Winter 1907/08 und 1908/09 zum Kinderfest und großem Eiskonzert bzw. zur venetianischen Nacht ein. Was wird an der Nacht venetianisch gewesen sein?  Die Musik, die Getränke oder das Speiseeis? Im Winter 1909/10 war Handelsmann Anton Böhm der Pächter. Der Eintrittspreis für Erwachsene betrug 10 Pf/Tag. Für Kinder war der Eintritt frei. Bei Veranstaltungen besonderer Art konnte der Pächter das Eintrittsgeld selbst festlegen. Ein Mitbringen von Hunden war damals nicht gestattet.

Im Jahre 1913 lud Albin Schüller zum ersten Weihnachtsfeiertag zum Konzert mit warmen Getränken und verschiedenen Speisen als Eisbahnpächter ein.

Mit der Verpachtung der Eisbahn scheint die Stadt vor 100 Jahren keine Einnahmen erzielt zu haben. Für den Winter 1919/1920 wurde die Pacht kostenlos ausgeschrieben. Bedingung war, dass für Schulkinder und noch nicht schulpflichtigen Kinder am Dienstag, Mittwoch und Freitag bis zum Eintritt der Dunkelheit der Besuch der Eisbahn kostenfrei möglich ist. Ansonsten hatten sie 15 Pf und Erwachsene 30 Pf zu zahlen.

Wer kein Freund des Eislaufens war, der ging vielleicht nach Bad Elster zur im Jahre 1910 verlängerten Rodelbahn.

 

Klaus-Peter Hörr

 

Aktualisiert November 2019