Fleischerei Geigenmüller

 

Geht man heute in Adorf die Goesmannstraße in Richtung Markt vor, kommt man an der Ecke Schulstraße gegenüber der August-Ruh an der Kunstgalerie Jürgen Waldmann vorbei. Immer weniger Leute wissen oder denken daran, dass in diesem Hause einmal die Fleischerei von Max Alfred Geigenmüller ihr Gewerbe hatte.

 

Der in Bergen bei Ebmath am 28. August 1885 geborene Alfred Geigenmüller erlernte bei Fleischermeister Albin Wolf in Jägersgrün von Oktober 1900 bis Oktober 1903 das Fleischerhandwerk.  Sein Lehrmeister bescheinigte ihm, dass er mit seinem Lehrling sehr zufrieden war. Fleischermeister Albin Wolf finden wir auch noch im Adressbuch des Jahres 1925 als einzigen Fleischer in Jägersgrün. Auf Basis seines Lehrbriefes stellte ihm die Fleischerinnung Auerbach am 12. Februar 1904 ein Verbands-Wanderbuch aus, mit dem er auf Wanderschaft ging. Dieses Buch belegt folgende Stationen seiner Wanderung:

 

·       06. Juni 1904 – 25. Juli 1904 in Halberstadt bei Fleischermeister Carl Müller

·       23. Juli 1904 – 23. Oktober 1904 in Braunschweig bei Fleischermeister Carl Herbst

·       25. Oktober 1904 – 2. April 1904 (?)  ……

·       1. Oktober 1907 – 16. Februar 1909 in Adorf bei Fleischermeister Theobald Martin

 

Alle Meister bescheinigten Alfred Geigenmüller gute bis sehr gute Leistungen.

 

Es ist davon auszugehen, dass Alfred Geigenmüller in seiner Zeit bei Fleischermeister Theobald Martin seine zukünftige Frau kennenlernte. Im Jahre 1909 heiratete er seine Frau Martha aus Hundsgrün. Das Hochzeitsfoto von Fotograf Paul Oberst aus Oelsnitz lässt vermuten, dass die Hochzeit in Hundsgrün bei den Brauteltern stattgefunden hat.

 

––C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Gewerbeverein\Geigenmüller\1909 Hochzeitsfoto Geigenmüller img893.jpg

 

 

 

Seine erfolgreiche Meisterprüfung legte er am 31. Mai 1910 vor der Kommission für die Abnahme der Meisterprüfung im Bezirk der Königlichen Kreishauptmannschaft Zwickau ab.

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Gewerbeverein\Geigenmüller\Meisterbrief Alfred Geigenmüller DSC03298 - Kopie.JPG

 

 

Noch vor Abschluss seiner Meisterprüfung zeigt Alfred Geigenmüller am 27. Juni 1909 an, dass er an diesem Tag zum Einzugsschmaus in die Gaststätte Hopfenblüte in Adorf einlädt. Die Kombination von Fleischermeister und Gastwirt war zu jener Zeit keine Seltenheit.

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Adorfer Wochenblatt-Grenzbote\Adorfer Grenzbote Fotos von Anzeigen-Artikel\GH Hopfenblüte\1909-06-27 Hopfenblüte Einzugsschmaus IMG_7227.JPG

 

Es ist nicht auszuschließen, dass der „Ausflug“ ins Gaststättengewerbe nur eine vorrübergehende Angelegenheit gewesen sein sollte. Am 1. September 1910 übernahm Theobald Martin seine Fleischerei und Gastwirtschaft Hopfenblüte wieder in eigene Regie. Fast zeitgleich zeigte Alfred Geigenmüller im Adorfer Grenzboten vom 7. September 1910 an, dass er im Hause Heerbeck am Marktplatz 6 ein Fleisch- und Wurstwarengeschäft eröffnet und versichert der verehrten Kundschaft gute, schmackhafte und frische Ware anzubieten.

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Adorfer Wochenblatt-Grenzbote\Adorfer Grenzbote Fotos von Anzeigen-Artikel\Geschäftseröffnungen\1910-09-07 Geschöftseröffnung Fleischer Alfred Geigenmüller IMG_9547.JPG

 

Am 25. September 1912 eröffnete er sein Fleisch- und Wurstwarengeschäft in dem kurz vorher erworbenen Haus Ecke Goesmann-Kurzestraße (heute Goesmannstraße - Schulstraße). Dieses Haus ließ Herr August Renz im Jahre 1908 errichten. Laut Adressbuch von 1904 betrieb er in der Goeßmannstraße 134 B eine Schankwirtschaft. Es handelte sich hierbei um die „August Ruh“, eine der wenigen Gaststätten von Adorf, die auch heute noch nach über 100 Jahren existieren.

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Adorfer Wochenblatt-Grenzbote\Adorfer Grenzbote Fotos von Anzeigen-Artikel\Geschäftseröffnungen\1912-09-25 Geschäftseröffnung Alfred Geigenmüller Fleischer IMG_8074.JPG

 

Mit dem Erwerb von Grundeigentum in Adorf waren für Alfred Geigenmüller die Voraussetzungen erfüllt, Bürger der Stadt Adorf zu werden. Zu jener Zeit gab es noch einen Unterschied zwischen einem Bürger und einem Einwohner einer Stadt. Bürgermeister Kämnitz stellte hierzu die entsprechende Urkunde aus.

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Gewerbeverein\Geigenmüller\1912-10-17 Bürgerschein Alfred Max Geigenmüller img884.jpg

 

  

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Gewerbeverein\Geigenmüller\1916 ca. Haus img889.jpg

Aufnahme ca. 1916

 

In diesem Haus Goesmann- Kurzestraße gab es neben dem Geschäft ein großes Schlachthaus, zwei Räucherkammern und eine Wursterei. Damals wie heute galt es bei einem Gewerbetreibenden: Immer selbst und immer ständig. An einem 8 h-Tag oder 40 h-Woche war nicht zu denken. Das Schlachtvieh wurde am Sonntag gekauft. Manchmal wurde es gebracht und manchmal musste der Fleischer es selbst vom Bauern abholen. Am Montag wurde dann geschlachtet und den Rest der Woche das Fleisch verarbeitet und verkauft. Am Samstag ging es nicht selten bis 21 Uhr. Erst später war am Samstag um 18 Uhr Wochenende. Musste am Sonntag das Schlachtvieh vom Bauern abgeholt werden, war das Wochenende noch schneller vorbei.

 

Auch Alfred Geigenmüller musste als Soldat in den 1. Weltkrieg einziehen. Er gehörte zu denjenigen, die diesen Krieg überlebten. Noch vor Kriegsende am 11. November 1918 inserierte er am 4. Juli 1918 als Soldat im Felde, dass er sein Fleischerei-Geschäft wieder eröffnen wird. Möglich wurde dies dadurch, da er verletzungsbedingt vorzeitig aus dem Kriegsdienst entlassen wurde.

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Adorfer Wochenblatt-Grenzbote\Adorfer Grenzbote Fotos von Anzeigen-Artikel\Geschäftseröffnungen\1918-07-04 Wiedereröffn. Fleischer Geigenmüller IMG_0028.JPG

Adorfer Grenzbote 4. Juli 1918

 

1919 bot Alfred Geigenmüller mit seinen „Echten Vogtländern“ die Bockwurst in Dosen an und machte damit den seit 1896 auf dem Markt befindlichen „Halberstädtern“ Konkurrenz.

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Gewerbeverein\Geigenmüller\Wurstdose farbig groß img864.jpg

 

Mit luftgetrockneter Salami oder auch Sülze fertigte er neben seinem „normalen“ Sortiment auch diverse Spezialitäten. Mit diesen belieferte er hauptsächlich die Kurheime in Bad Elster.

 

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Gewerbeverein\Geigenmüller\1931 ca.Ochsenfoto Geigenmüller ... DSC03300 - Kopie.JPG    C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Gewerbeverein\Geigenmüller\2018 Haus DSC03633.jpg

 

Wenn, wie oben beschrieben, immer am Montag geschlachtet wurde, müsste das Foto oben aus den 1930iger Jahren an einem Montag kurz vor dem Schlachten aufgenommen worden sein. Wir sehen dort:

 

·       2. v. R. : Werner Geigenmüller

·       3. v. R. : Alfred Geigenmüller

·       4. v. R. : Fleischer Walter Korb

·       5. V. R. : einen Ochsen, der noch nicht begriffen hat, dass es ihm gleich ans Leder bzw. die     Rouladen geht

·       Zwei Gesellen und einen Lehrling

 

Auf dem rechten Bild von November 2018 ist zu erkennen, das die Einfahrt auch heute noch freizuhalten ist. Ob dort doch noch das eine oder andere Rind verarbeitet wird?

 

Die Tatsache, dass neben Alfred und Werner Geigenmüller auch Fleischer Korb mit auf dem Bild ist, lässt vermuten, dass sie für das Schlachten und Verarbeiten eines solch stattlichen Tieres Hilfe benötigten. Eventuell war ein Ochse für einen Fleischer auch zu viel, und beide teilten sich das Fleisch.

Die Verarbeitung eines solchen Ochsen war eine schwere körperliche Arbeit. Ab ca. 1920 erleichterten die ersten mit Transmissionsriemen betriebenen Maschinen die Arbeit. In einem kleinen Kühlhaus wurden die Waren mittels Eisblöcken gekühlt. Um 1930 wurde ein elektrisch betriebenes Kühlhaus mit Vor- und Hauptkühlhaus mit ca. 24 qm Grundfläche in Betrieb genommen. In der Zeit von 1918-1930 arbeiteten in Summe über 30 Personen in der Fleischerei. Die Gesellen wohnten in der Bodenkammer und schliefen auf Strohsäcken und Federbetten.

Wenn der Ochse fachgerecht zerlegt und verarbeitet war, war der Laden mit einem breiten Sortiment gut gefüllt und die Kundschaft wurde erwartet.

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Gewerbeverein\Geigenmüller\1935 ca. Belegschaft img888 - Kopie.jpg

 

Martha und Alfred Geigenmüller, 2. Reihe v. l. eine Angestellte, Milda Spranger (Schwester von Martha Geigenmüller), rechts außen Werner Geigenmüller

 

Interessant bei dem unten aufgeführten Zeitungsausschnitt auch die Statistik für die im Monat Mai 1924 in Adorf geschlachteten Tiere.

 

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Adorfer Wochenblatt-Grenzbote\Adorfer Grenzbote Fotos von Anzeigen-Artikel\Schützengesellschaft\1924-06-12 Alfred Geigenmüller Schützenkönig IMG_1130.JPG

 

Wie in jenen Jahren üblich, waren viele Bürger in einem oder mehreren Vereinen aktiv. Alfred Geigenmüller wurde 1921 Mitglied der Priv. Schützengesellschaft Adorf und erkämpfte 1924 die Würde des Schützenkönigs. Sowohl das gute Auge als auch die ruhige Hand wurden an den Sohn Werner vererbt. Er trat 1936 in die Priv. Schützengesellschaft Adorf ein und erkämpfte sich den Titel des Jungschützenkönigs. Diese Familientradition wird bis heute von ihren Nachkommen fortgesetzt.

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Gewerbeverein\Geigenmüller\SCN_0016.jpg   C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Gewerbeverein\Geigenmüller\SCN_0011.jpg

 

Laut einer Anzeige vom 16. Juli 1932 führte die Freie Fleischer-Innung zu Adorf i. V. eine Sonder-Fach- u. Kunstausstellung durch. Man kann davon ausgehen, dass dies eine Leistungsschau der Innung war, wo jeder die Gelegenheit erhielt, sein Können in besonderer Weise zu demonstrieren. Unterzeichnet wurde diese Anzeige vom Obermeister A. Geigenmüller. Dies ist ein Beleg dafür, dass Alfred Geigenmüller in der Innung geachtet war und zu diesem Zeitpunkt von den Mitgliedern zum Obermeister gewählt war.

 

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Adorfer Wochenblatt-Grenzbote\Adorfer Grenzbote Fotos von Anzeigen-Artikel\Innungen\Fleischerinnung\1932-07-16 Freie Fleischerinnung IMG_6193.JPG

 

 

Wie in vielen Familienunternehmen üblich, führten die Kinder die Familientradition weiter und stiegen in das Geschäft des Vaters ein. So war es auch mit Sohn Werner. Wie selbstbewusst er diesen Beruf ausführte, sehen wir deutlich auf dem obigen Bild neben dem Ochsen. Man kann den Eindruck gewinnen, dass er nur darauf wartet, dass der Fotograf seine Arbeit beendet um endlich an die Arbeit zu gehen. Mit Beginn des 2. Weltkrieges wurde Werner Geigenmüller eingezogen. Zum Ende des Krieges geriet er in Bad Kreuznach in amerikanische Kriegsgefangenschaft und kehrte aus dieser im Sommer 1945 nach Adorf zurück. Während des Krieges wurde die Fleischerei so gut es ging von den Eltern fortgeführt. Zur Unterstützung erhielten sie einen französischen Kriegsgefangenen. Dieser war selbst Fleischer und Landwirt und verstand sein Handwerk. Noch heute hat Familie Waldmann Kontakte zu seinen Nachfahren in Frankreich.

Während des Krieges wurde das Kühlhaus als Luftschutzraum genutzt. Am Ende des Krieges wohnten im Hause neben der Familie über 20 Mieter und Flüchtlinge.

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Gewerbeverein\Geigenmüller\1950 ca. Schlachtviehlieferung img892.jpg

 

Mitte der 1950ger Jahre wurden die Schlachttiere mit einem Kleintransporter angeliefert. Wie doch die Zeit vergeht und sich verändert. Kaum mehr vorstellbar, dass heute mitten in einer Stadt  Schweine zum Schlachten angeliefert und geschlachtet werden. Dass ein Fleischer nicht nur mit dem Beil und dem scharfen Messer umgehen kann beweist nachfolgendes Foto aus der Mitte der 1950er Jahre.

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Gewerbeverein\Geigenmüller\Dreirad Marke Eigenbau mit Flugzeumotor DSC03305.JPG

 

Das Gefährt war ein Dreirad Marke Eigenbau mit einem Flugzeugmotor. Das Team vom Autohaus Schneider würde sich bestimmt die Augen reiben, wenn ein solches Gefährt heute zur Durchsicht gebracht werden würde. Vergeblich würden sie den Anschluss für das Diagnosegerät suchen.

 

Zum 1. September 1960 übergab die Familie Werner Geigenmüller ihr Fleischereigeschäft an den HO-Kreisbetrieb. Die HO-Fleischerei bestand in der Schulstraße 1 bis zum August 1972.

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Gewerbeverein\Geigenmüller\1960-09-01 Geschäftsübergabe DSC03310.JPG

 

                               

Heute befindet sich in den ehemaligen Räumlichkeiten der Fleischerei Geigenmüller die Kunstgalerie des Adorfer Malers Jürgen Waldmann. Wer mehr über seine Arbeiten erfahren möchte findet einen entsprechenden Artikel auf der Homepage der Stadt Adorf oder vereinbart einfach einen Termin mit ihm.

 

C:\Users\Hörr\Andrea\Adorf\Gewerbeverein\Geigenmüller\2018 Haus DSC03631 - Kopie.jpg

 

Vielen Dank an die Familie Waldmann für die Bereitstellung der vielen Informationen und Dokumente.

 

Klaus-Peter Hörr

April 2019