Firma Gebrüder Kirmse – Adorf |
|
Am 12. Februar 1900 berichtete die
Zeitung „Leipziger Tageblatt und
Anzeiger“ in einem Beitrag über die „Dauernde Gewerbe-Ausstellung„
in Leipzig über einen automatischen Zimmerschießstand der Firma Gebr. Kirmse, Fabrik mechanisch-technischer
Neuheiten, Adorf in Sachsen. |
|
„Die sehr
beliebten bisherigen Schießstände in Buden oder Vergnügungslocalen
erfordern einen größeren Raum, persönliche Bedienung für die Schießenden und
zum Ersetzen der getroffenen Gegenstände die nöthige
Abwartung; dabei lassen sie sich, was als Schwerpunct gelten muß, nicht
überall aufstellen. Alle diese Hindernisse erfordern viel Geldkosten, bevor
eine Einnahme erzielt wird. Die oben bezeichnete Firma hat durch ihre
patentierte Neuheit, einen Zimmerschießstand, welcher automatisch je nach
Wunsch 3 bis 6 Kugeln für ein 10-Pfennigstück zum Schießen abgiebt, allen den bisherigen Schießständen anhaftenden Uebelständen abgeholfen. Auf einem Tisch von 1 ½ m Länge
und ½ m Breite befindet sich rechts ein abgerundeter, der Tischbreite
entsprechender Blechaufbau von geringen Dimensionen, in welchem ein
Musikstück drei Stücke spielend (bei jedem Schuß
eins), eine Windmühle mit zehn fortlaufenden nach jedem Schuß
wechselnden Jagdbildern, ein Hase zum Umfallen und zwei aufwärtsschnellende
Bilder enthalten sind. Alle diese Ziele sind mit einem Hebel gemeinschaftlich
aufzuziehen und auf der äußeren Innenseite des Blechaufbaus durch schwarze Puncte, nach denen geschossen wird, gekennzeichnet. |
|
|
|
Auf der linken
Seite des Tisches ist die Schießvorrichtung angebracht, welche in einer den
Kanonen nachgebildeten Lafette und Lauf besteht und seitwärts, auf und
nieder, durch eine Schraube gestellt bezw. visiert
werden kann. Der Lauf besteht aus zwei luftdicht schließenden Theilen, die vordere Hälfte des Laufes wird
niedergedrückt, die Kugel eingelegt, dann wieder der Lauf hochgedrückt und
die kleine Kanone ist, mit Luft geladen, schußfertig.
Der Zwischenraum des Geschosses und der Ziele ist mit verzinntem
Drahtgeflecht eckig umgeben, so daß die Kugel nicht
herausfliegen kann. Sobald die Kugel
ihren Zweck erfüllt hat, rollt sie durch ein Röhrchen zurück in den
Automaten. Außerdem kann vor den genannten Zielen eine Scheibe bequem
eingehängt werden und ist
zum Mitnehmen nach Gebrauch bestimmt. Dieser Apparat schießt
unbedingt sicher und ist für Wirthe ganz besonders
geeignet, es lassen sich Preisschießen veranstalten und gute Uebungen damit erzielen. Der Preis dafür ist mäßig und
sind schon mehrere Schießstände verkauft worden.“ |
|
Über diese Firma ist im ehemaligen Zentrum der
deutschen Perlmutterwarenindustrie und bedeutenden Standort der
Textilindustrie kaum mehr bekannt als die alten Adressbücher von Adorf
hergeben. |
|
Ein Rechnungsformular aus dem Jahre 1933 verrät,
dass die Firma im Jahre 1884 gegründet sein soll und laut Rechnungskopf eine
Automaten-Fabrik und Schokoladen- und Zuckerwaren- Großhandlung ist. |
|
In alten gewerblichen Adressbüchern für das
Königreich Sachen finden wir erstmalig 1891 die Fa. Gebrüder Kirmse unter dem
Gewerbe „Corset-Fabrik“. Dieser Eintrag wiederholt
sich bis ins Jahr 1898. Auf der Anzeige unten ist ersichtlich, dass diese Produkt durchaus anspruchsvoll zu fertigen war. Ob
ein solches Korsett aus Adorf noch in der einen oder anderen Truhe auf einem vogtländischen Dachboden schlummert? |
|
|
|
Für einen Konfektionsbetrieb was es damals
sicherlich nicht einfach in Adorf geeignetes Personal zu finden. Die
Perlmutterwarenfirmen und die großen Textilfabriken der Gebr. Uebel bzw. der Kunstweberei von Emil Claviez
kämpften um jede Arbeitskraft. Die Folge davon war das stetige Anwachsen der
Bevölkerungszahl in Adorf. Um in diesem Wettstreit um die begehrten
Arbeitskräfte zu bestehen, gaben die Gebrüder Kirmse laut Leipziger Tageblatt
und Anzeiger vom Mai 1894 ihren Arbeiterinnen, die wenigstens ein Jahr im
Betrieb waren, zu Weihnachten ein Sparbuch mit einem Guthaben von 20 Mark und
versprachen, auch in den Folgejahren entsprechende Zahlungen zu leisten.
Hausarbeiterinnen, hiermit werden Heimarbeiterinnen gemeint sein, waren von
dieser Leistung ausgeschlossen. |
|
Im „Führer durch die sächsisch – thüringische
Export-Industrie“ des Jahres 1897 wirbt die Fa. Kirmse erstmals mit ihrem
obigen Zimmerschießstand und bezeichnet sich als eine Fabrik für mech. techn. Neuheiten. Wollte die Firma nach jahrelanger
Fertigung von Produkten für die Damenwelt nun auch etwas für das „starke“
Geschlecht auf den Markt bringen? Im Wiener Amtsblatt vom 26. Januar 1897 wird unter
der Rubrik „Privilegien-Uebertragungen“ berichtet, dass
Karl Hermann Paul Illing aus Zwickau am 8. April 1896 einen
„Zimmerschießstand mit mechanischer Scheibenbedienung vom Stande des Schützen
aus“ an die Firma Gebrüder Kirmse in Adorf übertragen hat. Warum wird diese
Übertragung in Wien veröffentlicht worden sein? Für diesen Zimmerschießstand ließ sich die Fa. Gebr.
Kirmse am 22. April 1897 unter Nr. 96182 eine Patentschrift beim Kaiserlichen
Patentamt eintragen. Die dort verwendete Bezeichnung lautete
„Luftdruck-Spielkanone mit getheiltem, kippbarem
Lauf“. Schaut man sich die Patentanmeldung Nr. 15057 vom
21. Juli 1897 in der Schweiz unter der Bezeichnung „Zimmerschießstand“ an,
kann man zu dem Schluss kommen, dass in Deutschland lediglich die Spielkanone
patentiert wurde und in der Schweiz der gesamte Schießstand. Für den Zimmerschießstand wurden in Deutschland noch
einige Gebrauchsmuster erfolgreich angemeldet und erteilt. Wie erfolgreich werden die Gebrüder Kirmse mit ihrem
Zimmerschießstand gewesen sein? Mindestens ab 1900 ist im Handelsregister
nicht mehr die Korsettfertigung als Geschäftsgegenstand eingetragen
sondern „Automaten u. technische Neuheiten“. In den Jahren 1902 und 1903
finden wir die Firma Gebr. Kirmse als Aussteller auf der Leipziger Messe. Was
wird neben diesem Zimmerschießstand noch in Adorf produziert worden sein? Die Handels-Zeitung für die gesamte Uhren-Industrie
nennt die Fa. Gebr. Kirmse im Jahre 1898 als Lieferanten für
Tuch-Messmaschinen und im Februar 1900 als Lieferant von „Starkästen mit
automatischer Geldauslösung“. Was werden das für Kästen gewesen sein? Im
Dezember 1904 meldete die Fa. Gebr. Kirmse ein Gebrauchsmuster für einen
„Fensterflügelfeststeller aus einem in Löcher einer Winkellasche greifenden
Haken“ an. Wie wird dieser wohl ausgesehen haben? Sicherlich war er nicht nur
in der Textilindustrie einsetzbar. Die Uhrmacher-Woche vom 9. März 1929
informiert darüber, dass die Fa. Gebr. Kirmse ein Lieferant von
Fernrohr-Automaten sei. An diesen Beispielen ist ersichtlich, dass diese
Firma aus Adorf mit ihrem Sortiment recht breit aufgestellt war. Der Zimmerschießstand muss auch in Adorf begeisterte
Anhänger gefunden haben. Dort gründete sich sogar 1935 ein
Zimmerschützenverein „Ruhig Blut“. Einen Schießklub „Ruhig Blut“ muss es
bereits seit 1927 gegeben haben. Ob der Zimmerschützenverein ein Ableger des
älteren Vereins war und der Verein noch auf den Schießständen der Gebr.
Kirmse geschossen hat? |
|
|
|
Ab dem Jahre 1942 findet sich im Adressbuch Adorf
kein Eintrag mehr zur Automatenherstellung. Zu jener Zeit wurden eher automatische
Waffen benötigt. Mit dem dort aufgeführten Schokoladengroßhandel war
sicherlich wegen sehr begrenzter Warenmengen kein großes Geschäft mehr zu
machen. Die Fa. Gebrüder Kirmse muss laut verschiedenen
Handelsregistereintragungen ein echter Familienbetrieb gewesen sein. Aus
ihnen ließe sich mit einigen Zusatzinformationen ein interessanter
Familienstammbaum erstellen. Fotos
vom Unternehmen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts liegen mir aktuell
nicht vor. Dank Siegfried Brückner/Remtengrün ist der Um- und Ausbau des
ehemaligen Firmengebäudes in den Jahren 1968/69 als ein grundhafter
Aus- und Umbau, bei dem teilweise so mancher Stein nicht auf dem anderen
blieb, gut dokumentiert. |
|
|
|
|
|
|
|
Das
Farbfoto von Ende Juli 2020 stellte Herr Wolfgang Weigert zur Verfügung und
belegt den Grund dafür, dass mir viele Adorfer
nichts mehr zur Kirmse-Fabrik sagen konnten. Das Gebäude „Am Kaltenbach“ in Adorf ist nicht
mehr da und an seine ehemalige Existenz erinnert an dieser Stelle nichts
mehr. Herr
Weigert wusste zu berichten, dass sich in diesem Hause mindestens bis 1989/90
eine Sanitätsstelle/Med. Punkt der Deutschen Reichsbahn befand. Die Vielzahl
der am Standort Adorf angestellten Mitarbeiter rechtfertigte dies und war in
der DDR bei Betrieben dieser Größenordnung üblich. |
|
In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Automatenmuseum
in Espelkamp konnte ermittelt werden, welche Automaten durch die Fa. Gebrüder
Kirmse angeboten wurden. Laut einer undatierten, bebilderten und
mehrsprachigen Automaten-Preisliste der Fa. Gebrüder Kirmse waren dies Warenverkaufsautomaten
mit einem, zwei, vier und sechs Schächten, eine Automatische Personenwage mit
Größenmesser, der oben bereits erwähnte Zimmerschießstand in
unterschiedlichen Ausführungen, ein Starenhaus mit Musik, ein
Postkartenautomat sowie der auch bereits erwähnte Fensterflügelfeststeller.
Da zumindest teilweise baugleiche Automaten auch von anderen Firmen angeboten
wurden, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, in welchem Umfange bei der
Fa. Gebrüder Kirmse in Adorf eine Montage der Automaten erfolgte oder diese lediglich
als Handelsware nur noch das entsprechende Firmenschild erhielten. Weitere Automaten
könnten zu einem späteren Zeitpunkt das Sortiment ergänzt haben. Die
Uhrmacher-Woche vom 9. März 1929 verweist z. Bsp. bezüglich
Fernrohr-Automaten an die Fa. Gebr. Kirmse in Adorf. Es ist nicht auszuschließen, dass der
Zimmerschießstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits technisch überholt
war. Dies könnte erklären, dass wir ab diesem Zeitpunkt keine Meldungen mehr
über ihn gefunden haben. |
|
Weiterführende Recherchen zur Geschichte der Firma
Gebr. Kirmse haben ergeben, dass die Firma ihren Ursprung in Riesa hatte. In
den Jahren 1884 und 1887 wurden von ihr nachfolgende Anzeigen geschaltet. Im
Adressbuch 1888/89 von Riesa ist auch ein entsprechender Eintrag zu finden. |
|
Anzeige 1884-11-06 |
Anzeige 1887-05-26 |
Eine Meldung des Handelsregisters
vom 11. April 1889 informirt darüber, dass die Firma Gebrüder Kirmse aus Risa
ihren Sitz von dort nach Adorf i. V. verlegt hat. Gleichzeitig wird gemeldet,
dass die Firma Gebrüder Kirmse in Adorf eingetragen wurde. Inhaber waren
damals die Herren C. B. Kirmse und C.
D. Kirmse. |
|
Wenn Sie noch mehr über die Firma Kirmse aus Adorf
wissen, so informieren Sie bitte den Gewerbeverein Adorf darüber. Gerne würde
ich obigen Artikel weiter ergänzen. Immer einen Schuss ins Schwarze wünscht Klaus-Peter Hörr August 2020/ Februar 2021/ September 2024 |