So ein Zirkus!
Es gibt sicherlich kaum jemanden, dem dieser kurze
Satz nicht schon einmal über die Lippen gekommen ist. Sei es beim Gespräch über
die Arbeit, der letzten Stadtratssitzung oder über den versuchten Wechsel des
Telefonanbieters. In der Regel ist die Aussage dieses Satzes negativ besetzt.
Warum eigentlich? Es gab bzw. gibt auch heute noch bei vielen kleinen und
großen Leuten glänzenden Augen beim Anblick bunten Zirkusplakate oder
Zirkuswagen, die vom baldigen Auftritt von Artisten, Domteuren, Zauberern oder
Clowns in der eigenen Stadt oder nahen Umgebung künden. Wer einmal bei der
Tierschau war, wird den typischen Geruch und den Anblick der verschiedenen
Tiere aus nächster Nähe nicht vergessen.
In der Zeit unserer Urgroßeltern und Großeltern zu
Beginn des 20. Jahrhunderts war der Zirkus sicherlich noch eine viel größere
Attraktion als heute.
Im Jahre 1908
besuchte Zirkus P. Wilke die Stadt Adorf und baute sein Zelt neben
Herzogs Mühle auf (heute Fa. Holzkellner). Die Eintrittspreise bewegten sich
damals zw. 40 Pf. und 2 Mark für eine erwachsene Person. Besonders begeisterten
die Pferdedressuren, die Clowns und die Luftgymnastiker.
Zwei Jahre später besuchte Circus Alfred Maine mit
seinem Zweimastzelt die Metropole des oberen Vogtlandes. Ein Höhepunkt waren
hier die Ringkämpfe, bei denen auch die Adorfer Herren Paul Haßler und Alfred
Müller mit den Zirkusathleten um eine Prämie von 100 Mark ihre Kräfte maßen.
Nach dem 1. Weltkrieg kam 1919 der Circus Cossmy in
die Stadt. Dieser gab dort bereits 1909, damals noch unter dem Namen Straßburger,
ein Gastspiel. Als Attraktion bot er dem Adorfer Publikum in seinem
vollbesetzten Riesenzelt neben „Jumbo“, den bestdressiertesten Elefanten der
Welt auch Haudini, den König der Entfesselungskünstler.
Im Juli 1922 begeisterte Circus Lorrain in seinem
3.000 Personen fassenden Zelt die Adorfer und auswärtigen Gäste. Die Adorfer
mussten damals ein besonders begeistertes Zirkuspublikum gewesen sein. Bereits
zwei Monate später gastierte mit Zirkus A. Sperlich der nächste Zirkus in der
Stadt.
Ein weiteres
Jahr später baute die Cirkus-Wander-Schau Roeder-Odeon auf dem Schützenplatz
ihr Zelt auf.
1924 folgte
mit Zirkus Hassly aus München das nächste Zirkusunternehmen mit 18
Attraktionen. Es begeisterte mit Pferdedressuren und artistischen Nummern sowie
mit seinen Clowns und einem Feuerschlucker.
Keine 4
Wochen später war es wieder Zirkus Sperlich, der nach 1922 erneut in Adorf
gastierte und seine Gäste im ausverkauften Zelt begeisterte.
Auch Circus Hassly muss mit seinem Besuch im Jahre
1924 zufrieden gewesen sein. Bereits ein Jahr später kam er wieder nach Adorf.
Hierbei zeigten die drei Luftturner Geschwister Renz ein vorzügliches Programm.
Für den Zirkus Sarrasani war die Stadt Adorf eine
Nummer zu klein. Das bedeutete aber nicht, dass die Adorfer Zirkusfreunde auf
einem Besuch in diesem Spitzenzirkus verzichten mussten. Nach langwierigen
Verhandlungen mit der Stadtverwaltung weilte er sowohl 1921 als auch 1926 in
Plauen.
Bei seinem Besuch im Jahre 1926 reiste er mit 120
eigenen Autotransportzügen, über 500 Artisten aus 37 Nationen und 300 Tieren
an. Sein Zelt hatte Platz für 10.000 Besucher. Gegenüber dem Besuch im Jahre
1921 war dies eine beträchtliche Vergrößerung seines Unternehmens.
Um den Adorfer Zirkusfreunden den Besuch der
Vorstellungen in Plauen zu vereinfachen,
wurden Sonderzüge eingesetzt. Was muss eine solche Tournee damals für eine logistische Meisterleistung
gewesen sein. Unter heutigen Bedingungen wäre im Zeitalter der schier
unbegrenzten Unterhaltungsangebote und einzuhaltenden Bestimmungen und Auflagen
ein solches Zirkusspektakel sicherlich nicht mehr durchführ- und finanzierbar.
Nach dem unbestrittenen Höhepunkt mit dem Besuch von
Zirkus Sarrasani in Plauen ging das „normale“ Zirkusleben in Adorf weiter.
Anfang Juli 1926 gastierte
Zirkus „Orient“ auf dem Schützenplatz in einem im Stile der alten Griechen
gehaltenen Amphitheater-Bau. Sie warben besonders mit ihren Clowns und Auguste
sowie günstigen Eintrittspreisen.
Im Juni 1927 gastierte der Riesen-Circus Amarant bei
seinem ersten Europagastspiel auch in Adorf. Ihm ging ein erstklassiger Ruf für
sein besonderes Programm mit 75 Einzelnummern voraus. Die Anreise nach Adorf
erfolge mittels Sonderzug.
Die Besucher kamen nicht nur aus Adorf sondern auch
aus Bad Elster, Markneukirchen und umliegenden Orte. Sie wurden mit
prachtvollen Pferdedressuren, einer Löwen- und Eisbärengruppe, Elefanten sowie
weiteren Tierdressuren begeistert. Auch die erstklassigen Programme der
Artisten, Jongleure, Seiltänzer und Clowns erfreuten das zahlreichen Publikum.
Am 31. Juli 1927 konnten die Adorfer Zirkusfreunde,
die mit Sicherheit das Programm von Circus Amarant noch gut in Erinnerung
hatten, dieses mit dem von Zirkus Roeder-Odeon vergleichen. Er kam nach
10-tägigem Gastspiel von Oelsnitz nach Adorf. Sie reisten mit einer stattlichen
Künstlerschar an, die auch in den Großstadt-Varietees gastierten. Ein Höhepunkt
des zweistündigen Programmes war ein Kegel- und Geschoßakt, welcher einmalig
gewesen sein soll. Mit den Besucherzahlen war man nicht ganz zufrieden. Zwei
Zirkusveranstaltungen innerhalb von zwei Monaten war in diesem Jahr für Adorf
zu viel.
Zu Beginn der Zirkussaison des Jahres 1929 war es
wieder der Circus Amarant, der in Adorf wie im Jahre 1927 seine Zelte
aufschlug. Sein Besuch wurde bereits seit Januar 1929 durch verschiedene
Berichte in der Zeitung vorbereitet.
Der Circus reiste mit einem dreistündigen Programm von
62 Attraktionen nach Adorf. Eine dieser Attraktionen war die beste
Seelöwennummer Deutschlands.
Die engagierten Künstler und Artisten kamen u. a. aus
Japan, China, Ägypten, Russland und Italien. Die Presse bescheinigte ihm, dass
er mit seiner Truppe von 250 Menschen und 125 Tieren nicht hinter Sarrasani
oder Straßburger zurücksteht. Er reiste damals mit eigenen Sonderzügen zu den
Gastspielen. Die Zelte wurden innerhalb von vier Stunden auf- und innerhalb von
1,5 Stunden wieder abgebaut.
Der Sonderzug mit 76 Achsen wurde in Adorf von
hunderten Einwohnern am Bahnhof empfangen. Mit Bewunderung wurde von den
Adorfer Zirkusfreunden beobachtet, mit welche
Präzision der Aufbau des Zirkuszeltes und der gesamten „Märchenstadt“ erfolgte.
Am 4. Juli 1930 berichtete der Adorfer Grenzbote vom Ende des Zirkus Amarant
aus wirtschaftlichen Gründen.
Wie in den Jahren davor, besuchte im August 1929 mit
dem Circus Barum ein zweiter Zirkus die Stadt. Beeindruckend wieder die
beachtliche Kapazität von 5.000 Plätzen für eine Kleinstadt wie Adorf.
Beim Be- und Entladen der Zirkuswagen in Plauen
mussten die Elefanten mit ihrer Kraft mithelfen. Ob es eine willkommene
Abwechslung für sie war?
An Programm brachte Circus Barum die sagenumwobene
Pracht des Orients mit in das Vogtland. Über 300 Mitarbeiter sorgten Tag für
Tag für einen reibungslosen Ablauf an jedem Ort. Besonders beeindruckte der
Zirkus mit seinen Elefanten und den Zauber ferner Welten.
Auch wenn es in kurzer Zeit der zweite Zirkusauftritt
in Adorf war, lockte er die Besucher in großer Menge an und begeisterte sie mit
seinen vielfältigen Tierdressuren, den Clowns und der Pferdedressur „lebendes
Karussell“ mit 50 (!) Pferden. Im zweiten Teil nach der Pause begeisterten die
Artisten und die Dressur der 5 Elefanten. „Ein Fest am Hofe des Mikado“
entführte die Besucher in eine ferne Märchenwelt.
Ab. 20. September 1932 gastierte der Zirkus-Arena in
Adorf. Er scheint etwas kleiner gewesen zu sein und schlug seine Zelte bei der
Gastwirtschaft „Neue Welt“ (ehemals Feldschlösschen heute Wasserwerk) auf. In
seinem Dressurprogramm hatte er neben Pferdedressuren auch solche mit Hunden
und Ziegen.
Nach 5 Jahren Auslandsgastspiel besuchte Circus Barum
1935 wieder Adorf.
Die Zeit dazwischen war für den Zirkus nicht einfach.
1931 musste wegen eines Unwetters und schwerer Schäden eine Tournee in
Frankreich abgebrochen werden. Ein Gastspiel von 1931-1934 in der Sowjetunion
mit Rundreisen durch das ganze Land verlief unter sehr schweren Bedingungen und
vielen Unfällen bis zu einem schweren Eisenbahn- und Schiffsunglück, bei dem
viele Tiere getötet und verletzt wurden. In der Tschechoslowakei wurde der
gesamte Tierbestand für einen geringen Preis gerichtlich verkauf. 1935 baute
die Tochter des Direktors Barum in Deutschland einen neuen Zirkus auf. Dieser
hatte wegen der wirtschaftlichen Probleme nicht mehr die Größe wie sein
Vorgänger.
Die Eröffnungsvorstellung in Adorf war mit 1.500
Zuschauern ausverkauft und es mussten noch viele Stühle herbeigeschafft werden.
Das Programm, welches das gesamte Spektrum der Zirkuswelt bediente, begeisterte
die Besucher wie in früheren Zeiten.
Selbst im Kriegsjahr 1940 mussten die Adorfer nicht
auf eine Zirkusvorstellung verzichten. Zirkus Wwe. Heppenheimer stellte seine
Zelte an der Bismarckstr. (heute Lessingstraße) auf und wies darauf hin, dass
er nicht mit dem Zirkus Heppenheimer zu verwechseln sei, der auch schon in
Adorf gastierte. Da scheint es mal Ärger in der Familie gegeben zu haben. Dem Zirkus
eilte die Nachricht voraus, dass er in Klingenthal und Graslitz in
ausverkauften Zelten spielte.
Eine seiner
Späzialitäten war eine Schweinedressur. In seinem Tierbestand befand sich mit
Löwe Prinz ein Geschenk von Reichsmarschall Göring. Der Fortbestand von
Zirkusaufführungen in jener Zeit sollte für die Bevölkerung ein Beweis der
inneren Sicherheit sein.
Heute sind reisende Zirkusunternehmen längst nicht
mehr so groß wie vor ca. 100 Jahren. Besonders das Überwintern ohne Vorstellungen
ist für so manches Unternehmen Jahr für Jahr ein Kraftakt. Im Zusammenhang mit
gewandelten Ansichten betreffs artgerechter Tierhaltung haben sich die
Tierdressuren in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Ich habe als Kind
noch Raubtiernummern mit Löwen, Tiger und Bären erlebt. Es ist nicht sicher, ob
man in einigen Jahren im Zirkus noch Dressuren mit großen Wildtieren wie
Elefanten, Löwen und Bären sehen kann.
Klaus-Peter Hörr
April 2018